„Junge Welt“, 09.02.2008
Vom Absturzkandidaten zur prosperierenden Wirtschaftsmacht – Rußland schwimmt in Petrodollars, doch ein Großteil der Bevölkerung hat wenig davon
Mit dem Ende der Präsidentschaft Wladimir Putins, das die Wahlen vom 2. März besiegeln werden, geht eine Periode in die Geschichte ein, die vor allem durch die politische und wirtschaftliche Stabilisierung des postsowjetischen Rußlands gekennzeichnet ist. Wenn es etwas wie ein »Vermächtnis« Putins gibt, dann müßte an erster Stelle die Wiederherstellung des Kreml als politisches Machtzentrum Rußlands genannt werden. Dem ehemaligen Geheimdienstoffizier gelang es mit seinen Getreuen, das Schicksal des taumelnden Riesenreiches den Händen konkurrierender Oligarchengruppen zu entreißen. Auch vereitelte er Versuche, die Russische Föderation zur Peripherie des Westens zu machen.
Auch auf dem Gebiet der Sozialpolitik kann der scheidende Präsident kleine Erfolge vorweisen. Die politische Stabilisierung ging während der gesamten Regentschaft Putins mit einem partiellen Zurückdrängen der Massenarmut in Rußland einher. Im Januar veröffentlichte das Institut für soziale und ökonomische Bevölkerungsstudien der russischen Akademie der Wissenschaften eine umfangreiche Studie über die Ausmaße der sozialen Polarisierung der Bevölkerung. Zum einen konnte tatsächlich ein signifikanter Rückgang der »absoluten Armut« festgestellt werden. Die Anzahl der Menschen, deren Einkünfte unter der gesetzlich festgesetzten Armutsgrenze liegen, sank binnen der vergangenen acht Jahre von 40 auf 20 Prozent der Bevölkerung.
Aufgrund der sehr niedrig angesetzten Armutsgrenze und der damit einhergehenden Verzerrung der soziaÂlen Wirklichkeit gingen die Macher der Studie daran, die »relative Armut« zu messen. In diesem statistischen Verfahren definierten sie diejenigen Personen als arm, die weniger als 60 Prozent des Durschschnittslohns verdienen. Danach ist nahezu die Hälfte der russischen Bevölkerung von Armut betroffen. Mehr noch: Der Anteil der »relativ Armen« nahm innerhalb der zurückliegenden Jahre zu. Als ein herausragendes Beispiel für die enorme Differenz in den beiden statistischen Methoden nennt die Studie die Metropole Moskau. Deren Einwohnerschaft lebt nur zu 13 Prozent unterhalb der »absoluten«, also offiziell festgelegten Armutsgrenze. 57 Prozent der Moskowiter gelten hingegen als »relativ arm«.
Sinkende »absolute« und steigende »relative« Armut ist einem weiteren »Vermächtnis Putins« zuzuschreiben. Zwar monopolisierte dessen Mannschaft die politische Macht bei Kreml. Doch die Oligarchie wurde nicht entmachtet. Diejenigen Oligarchen, die die politische Herrschaft des Kreml anerkannten, durften die von ihnen ergaunerten Produktionsmittel behalten. Damit machten die Abramowitsch, Deripaska oder Wechselberg auch weiterhin glänzende Geschäfte. Die Zahl der Dollarmillionäre in Rußland ist aktuell auf 120000 Personen angestiegen, während 30 Millionen russische Rentner mit staatlichen Almosen von umgerechnet 200 Euro überleben müssen.
Neben der politisch kaltgestellten Oligarchie sind es die in den vergangenen Jahren entstandenen staatskapitalistischen Strukturen, die einen Teil der ins Land fließenden Petrodollars verschlingen. Putin hinterläßt mächtige, mit dem Kreml verbundene Konzerne. Die besitzen oftmals eine monopolartige Stellung auf dem Binnenmarkt, lassen sich leicht in staatliche Strategien, aber auch in Partikularinteressen hoher Kremlführer einbinden. Besonders stark ist bekanntlich der Staatseinfluß im Rohstoff- und Energiesektor. Neben Gasprom spielt der staatliche Ölkonzern Rosneft hier eine wichtige Rolle. Zudem ist der einzige international konkurrenzfähige russische Sektor der verarbeitenden Industrie, die Rüstungswirtschaft, nahezu vollkommen in staatlicher Hand. Die 2006 gebildete Luftfahrtholding OAK will – nach Airbus und Boeing – zur Nummer drei der zivilen Luftfahrt aufsteigen. Der Staatskonzern Rosnanotech soll konkurrenzfähig auf dem Gebiet der Nanotechnologie forschen und entsprechende Produkte entwickeln. Selbst bei der Fusion des eigentlich in Oligarchenhand befindlichen weltgrößten Aluminiumherstellers ÂRusAL stand der Kreml aus strategischen Erwägungen Pate.
Überdies hinterläßt Wladimir Putin seinem Nachfolger eine Menge Geld. In einem Stabilitätsfonds wurde ein Teil der ständig wachsenden Devisenreserven aus den Erdgas- und Ölexporten geparkt, die für die sehr guten Wachstumsraten um sechs Prozent während der Ära Putin ursächlich sind. An die 139 Milliarden US-Dollar befinden sich in diesem Fonds, aus dem vor kurzem elf Milliarden entnommen wurden, um einen »Nationalen Wohlfahrtsfonds« zu gründen, der Engpässe im Rentensystem überbrücken soll.
Geradezu beeindruckend sieht Putins Bilanz bei den wichtigsten makroökonomischen Zahlen aus – solange die extreme soziale Polarisiserung unberücksichtigt bleibt. 1999 befand sich Rußland auf Platz 22 der vom Internationalen Währungsfonds erstellten Liste der größten Volkswirtschaften, Ende 2006 war es bereits auf Platz elf vorgerückt. Das russische Bruttoinlandsprodukt soll 2007 mit 1,3 Billionen US-Dollar über sechsmal so hoch sein wie 1999. Der russische Staatshaushalt wies 2007 einen Überschuß von sechst Prozent aus – Âvon solch einem Geldregen kann ein Peer Steinbrück nur träumen.