„Junge Welt“, 04.02.2008
Die jüngste USA-Visite des polnischen Außenministers Radoslaw Sikorski wird für diplomatischen Aufruhr sorgen. Am Freitag erklärte Sikorski in WaÂshington, daß beide Seiten sich »im Prinzip« auf die Stationierung von zehn Abfangraketen in Nordpolen geeinigt hätten. Die nordpolnische Raketenbasis soll – neben einer in Tschechien geplanten Radaranlage – Teil eines amerikanischen Raketenabwehrschildes in Osteuropa werden, das vor allem von Rußland heftig kritisiert wird. Moskau sieht in dem US-Projekt eine Bedrohung seiner nuklearen Abschreckungswaffen.
Sikorski erklärte nach einer längeren Unterredung mit seiner US-Amtskollegin Condoleezza Rice, er sei zufrieden, »daß die Prinzipien, auf die Polen bestand, akzeptiert wurden«. Die seit November 2007 amtierende Regierung um Premier Donald Tusk forderte seit ihrem Amtsantritt eindringlich verbesserte Konditionen bei der Stationierung der US-Abwehrraketen in Polen. In etlichen Äußerungen stellten Sikorski und Tusk das gesamte Projekt sogar in Frage. Polen forderte von den USA verbindliche Sicherheitsgaranitien und die Modernisierung der polnischen Luftabwehr.
Bei der freitäglichen Pressekonferenz zeigte sich Washington nun kompromißbereit. »Die Vereinigten Staaten werden eine Modernisierung der polnischen Luftabwehr unterstützen«, erklärte Rice. Trotzdem mußte Sikorski gegenüber polnischen Journalisten einräumen, bislang nur »allgemein gehaltene Zusicherungen« erhalten zu haben. »Wir sind erst bei der Hälfte des Weges«, so Polens Außenminister. Dennoch markiert die prinzipielle Zustimmung Warschaus einen radikalen Politikwechsel, waren polnische Regierungsvertreter bislang doch bemüht, auf Distanz zu diesem Vorhaben zu gehen. Sikorski gab seiner Hoffnung Ausdruck, daß Premier Tusk während seiner Washington-Visite Anfang März eine »endgültige und positive Entscheidung« über die Aufstellung der US-Raketenabwehr treffen wird.
Damit geht zumindest Polens Außenminister kurz vor einem Rußland-Besuch von Ministerpräsident Tusk auf Konfrontationskurs gegenüber Moskau. Besonderen Unmut dürften überdies etliche Äußerungen Sikorskis bei der russischen Regierung auslösen. Polen befinde sich wegen der Raketenabwehr »unter politischem Druck« und werde »von seinen Nachbarn erpreßt«, verkündete Oxfordabslovent Sikorski vor dem konservativen American Enterprise Institute in Washington. Die »ernsthaften russischen Drohgebärden« wurden vom polnischen Außenminister während seiner USA-Visite als Hauptargument benutzt, um Warschaus Forderungen zu legitimieren. Am 21.Januar hatte Moskau hingegen erklärt, »keinen politischen Druck auf Polen« in der Frage der Raketenabwehr auszuüben.
Doch Sikorskis Provokationen gegenüber Rußland gingen noch weiter: Polen wolle einen »großen NATO-Stützpunkt« auf seinem Territorium, da die »Verteidigungsinfrastruktur der NATO mehr oder weniger gleichmäßig über ihr Territorium verteilt sein sollte«. Schließlich betonte der als »Dissident« in den 80ern nach Großbritannien geflüchtete und in erzkonservativen Kreisen politisierte Sikorski, daß Polen verstärkt für einen NATO-Beitritt der Ukraine werben werde: »Wir begrüßen die Entscheidung der Ukraine für die europäische und die euroatlantische Integration und werben bei unseren Verbündeten dafür, daß sie den Wunsch der Ukraine unterstützen«, erklärte Sikorski in einem Interview mit der ukrainischen Wochenzeitung Serkalo Nedeli.
Offizielle Kommentare aus Moskau lagen – kurz vor der Rußlandvisite Tusks – bis Redaktionsschluß nicht vor.