„Junge Welt“, 14.01.2007
Zocken um Washingtons Pläne, in Polen und Tschechien einen militärischen Abwehrschirm zu installieren
Es kommt so langsam Bewegung in das geopolitische Tauziehen rund um die in Osteuropa geplante US-Raketenabwehr. Am vergangenen Donnerstag trafen sich die Regierungschefs Polens und Tschechiens in Prag, um ihr weiteres Vorgehen in dieser Frage zu besprechen. Der tschechische Regierungschef Mirek Topolanek konnte bei dieser Gelegenheit erstmals den Standpunkt der neugewählten polnischen Premiers Donald Tusk ausführlich kennenlernen. Trotz der beiderseitigen Bemühung, die Gemeinsamkeiten zu betonen, sind kleinere Verstimmungen zwischen Prag und Warschau bei der abschließenden Pressekonferenz sichtbar geworden. Die tschechische Regierung hat ihre Verhandlungen mit Washington bereits größtenteils abgeschlossen, meldete die tschechische Tageszeitung Lidove Noviny. Polen will hingegen nachverhandeln.
Während Topolanek erklärte, den entsprechenden Stationierungsvertrag über die in Tschechien zu errichtende Raketenabwehr möglichst schon »nach dem Bukarester NATO-Gipfel« vom April dem Parlament zur Abstimmung vorlegen zu wollen, drückte Tusk auf die Bremse. Man wolle die Verhandlungen weder verlangsamen noch beschleunigen und diese erst zu Ende bringen, wenn Polen »umfangreiche Finanz- und Sicherheitsgarantien erhalte«, so die salomonisch verklausulierte Verzögerungstaktik des polnischen Premiers.
Was sich Tusk darunter vorstellt, machte Polens Verteidigungsminister Bogdan Klich am Samstag deutlich, als er die Stationierung von zehn US-Abfangraketen in Nordpolen von der Unterzeichnung eines »militärischen Sonderabkommens« zwischen Washington und Warschau abhängig machte. Zudem besteht Polen darauf, im Rahmen einer intensiven militärischen Kooperation mit neuesten US-amerikanischen Waffensystemen beliefert zu werden, sowie umfangreiche Militärhilfen zu erhalten. Konkret geht es Warschau um die neueste Generation von Patriot-Abwehrraketen und das modernste Luftabwehrsystem, das der Militärisch-Industrielle-Komplex der USA entwickelt: die THAAD-Raketenabwehr (Terminal High Altidude Area Defense).
Klich wird am morgigen Dienstag zu weiteren Gesprächen über die Raketenabwehr nach Washington reisen, während polnische Politiker weiterhin in aller Öffentlichkeit hoch pokern und zumindest offiziell die Raketenabwehr in Frage stellen: »Ich bin für die Sicherheit Polens verantwortlich und nicht für die Amerikas«, so Ministerpräsident Tusk am vergangenen Mittwoch. Polens neuer Außenminister bezeichnete den US-Raketenschild sogar als »ein amerikanisches, nicht ein polnisches Projekt«.
Unterdessen fährt Warschau seine Fühler in Richtung Moskau aus, das die Raketenabwehr als Bedrohung seiner nuklearen Abschreckungskapazität wahrnimmt. Zur gleichen Zeit, als Topolanek und Tusk sich in Prag bemühten, ihre aufkeimenden Differenzen zu überspielen, verhandelten die Vizeaußenminister Polens und Rußlands in Warschau. »Die Diskussionen haben zu einer gegenseitigen Klärung der Positionen beigetragen«, meldete die russische Nachrichtenagentur RIA-Novosti. »Die Seiten stimmen darin überein, daß ein weiterer offener Meinungsaustausch nützlich ist, bevor Entscheidungen zu empfindlichen Sicherheitsfragen getroffen werden«. Anfang Februar wird Donald Tusk diesen »offenen Meinungsaustausch« bei einem Treffen mit Rußlands Präsident Wladimir Putin fortsetzen können.
Dieser Verhandlungspoker der Tusk-Administration, die sich offensichtlich alle Optionen offenhält, scheint die Nerven der proamerikanischen, rechskonservativen Opposition Polens über Gebühr strapaziert zu haben. Es dränge sich der Eindruck auf, der neue Premier behandle die US-Amerikaner »arrogant«, während Moskau von ihm »mit Samthandschuhen« angefaßt werde, polterte die der ehemaligen Regierungspartei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) nahestehende Tageszeitung Rzeczpospolita.