„Junge Welt“, 13.12.2007
Polnischer Premier zu Antrittsbesuch in Berlin. Gute Atmosphäre, aber kaum Annäherungen in den Streitpunkten
Eine fast schon verkrampft wirkende Harmonie hat den Antrittsbesuch von Donald Tusk am Dienstag in Berlin dominiert. Sowohl der polnische Premier als auch Bundeskanzlerin Angela Merkel waren sichtlich um einen freundschaftlichen Umgangston und eine konstruktive Haltung bemüht, um der zweijährigen Periode angespannter Beziehungen zwischen beiden Ländern zumindest ein mediales Ende zu setzen.
Dennoch bleiben eigentlich alle Streitpunkte zwischen beiden Staaten weiterhin bestehen. Tusk sprach denn auch davon, daß es »keine Tabus« bei den Gesprächen unter »Freunden« geben dürfe. An Problemen, die während der Gespräche thematisiert wurden, herrscht in den bilateralen Beziehungen beider Länder wahrlich kein Mangel. Polen widersetzt sich hartnäckig der zwischen Rußland und Deutschland geplanten Ostseepipeline, wie auch dem in Berlin vorgesehenen »Zentrum gegen Vertreibungen«. Berlin weigert sich wiederum, die Entschädigungsforderungen deutscher Privatpersonen und der Revanchistenorganisation »Preußische Treuhand« in einem völkerrechtlich verbindlichen bilateralen Vertrag zurückzuweisen.
Dabei gab sich Tusk – gegen erbitterten Widerstand im eigenen Land – sogar alle Mühe, den deutschen Wunsch nach einer geschichtspolitischen Thematisierung des Schicksals der »Vertriebenen« im Rahmen des Möglichen zu entsprechen. Einen Vorschlag der »Kopernikus-Gruppe« – – eines deutsch-polnischen Expertenforums – modifizierend, bot Tusk der Kanzlerin den Aufbau eines »Musemus des Zweiten Weltkriegs« in Gdansk an, in dem auch der Umsiedlung der deutschen Bevölkerung unter Berücksichtigung der kausalen Zusammenhänge von deutschem Vernichtungskrieg und Massenmord gedacht werden solle. An dem Projekt könnten Tusk zufolge auch Rußland und Israel beteiligt werden.
Die Kanzlerin sprach zwar von einer »interessanten Idee«, doch hielt sie an einem in Berlin zu errichtenden »Zentrum gegen Vertreibungen« fest: »Dieses Projekt hat nicht die Absicht, Ursache und Folgen des Zweiten Weltkriegs zu relativieren«, behauptete Merkel. Nun soll eine von der Kanzlerin benannte Delegation dieses Projekt in Warschau genauer vorstellen. Polen solle aber an der Konzeption des Berliner »Vertriebenenzentrums« beteiligt werden. Ähnliche Angebote zu einer unverbindlichen »Zusammenarbeit« an Polen gab es in der Frage der Ostseepipeline. Zudem beteuerte die Kanzlerin wiederum, nicht die Forderungen der »Preußischen Treuhand« zu unterstützen; eine vertraglich verbindliche Fixierung dieses Standpunktes lehnte sie aber wiederum ab.
Der geschichtspolitische Vorschlag Tusks traf hingegen auf harsche Kritik innerhalb der polnischen Rechten. Politiker der rechtskonservativen Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) kritisierten, daß diese Art Erinnerungspolitik die »Position der Henker und der Opfer« angleichen würde. Es sei egal, wo eine solche Erinnerungsstätte entstünde, sie würde »die Deutschen, die den Zweiten Weltkrieg entfachten, zu dessen Opfern machen – genauso wie die Polen, Juden und andere Völker«, erklärte PiS-Politiker Karol Karski gegenüber dem Fernsehsender TNV24. Die »Polnische Treuhand«, die in Reaktion auf die Gründung der »Preußischen Treuhand« entstand und polnische Entschädigungsforderungen gegenüber Deutschland durchsetzen soll, wurde in einem von der polnischen Nachrichtenagentur PAP verbreiteten Kommuniqué deutlicher. Der »Herr Premier« habe durch seinen Vorschlag, einen Ort in Polen zu schaffen, an dem des Schicksals der deutschen Umsiedler gedacht werde, »einen Schritt« zurück getan beim Kampf um die historische Wahrheit.