„Junge Welt“, 29.11.2007
Polens neue Regierungspartei und der »demokratische Kapitalismus«: Blättern im neoliberalen Gruselprogramm der »Bürgerplattform«
Die Erinnerungen an den fulminanten Wahlkampf der neuen polnischen Regierungspartei, der rechtsliberalen Bürgerplattform PO, verblassen langsam. Die Liberalen posierten als die wahren Kämpfer für Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte, die angeblich durch die autoritäre Politik der damaligen Regierungskoalition unter Premier Jaroslaw Kaczynski (PiS) bedroht waren. Politiker der PO versprachen ihren Wählern vor allem »Normalität«. Sie stellten eine gemäßigte Politik in Aussicht, die mit der fortwährenden Polarisierung der Gesellschaft, wie sie unter der PiS-Regentschaft üblich war, brechen würde.
Was die PO unter Normalität versteht, machte deren Vorsitzender und neuer Premier Donald Tusk am 23. November deutlich, als er sich in einer Parlamentsrede gegen die Ratifizierung der EU-Grundrechtecharta durch seine Regierung aussprach. In dieser Charta sind eben auch soziale Mindeststandards festgeschrieben, die von Tusk und seinen Getreuen als unnötiger, sozialromantischer Ballast angesehen werden. »Ein Lächeln auf den Lippen, die Rute hinter dem Rücken«, lästerte der zum Oppositionsführer mutierte Jaroslaw Kaczynski, als er die bisherige Taktik der PO zusammenfaßte. Denn Polens Liberale geben sich betont Mühe, als eine kompromißbereite, zivilgesellschaftliche Gruppierung zu erscheinen. Ein Blick in ihr Parteiprogramm fördert hingegen die ganze Palette radikalster wirtschaftsliberaler Ladenhüter zu Tage, von denen im Wahlkampf nur selten die Rede war.
Angeführt wird die Horrorliste von der berühmten »Flat-Tax«, einem einheitlichen Steuersatz für alle Einkommensklassen und Steuerarten, die im neolibaralen Idealfall 15 Prozent betragen sollte. Es wäre egal, ob Medikamente, Lebensmittel oder Rolex-Uhren, Tagelöhner, Konzerne oder Milliardäre besteuert würden, für alle gälte derselbe Steuersatz. Zugleich sollen die Renten steigen und die Ausgaben für das Gesundheitswesen erhöht werden – Mehrausgaben für den Autobahnbau und den Wohnungsmarkt dürfen auch nicht fehlen. Um diese Steuerausfälle und Ausgabenerhöhungen zu schultern, will die PO so ziemlich alles privatisieren, was sich noch im öffentlichen Besitz befindet.
Tusk selbst sprach von einer »radikalen Beschleunigung« der Privatisierung, die während der Regierungszeit der PiS de facto eingefroren worden war. Bis zur Mitte kommenden Jahres will die PO ein umfassendes Programm dazu vorlegen. Besonders tragische Konsequenzen wird die angestrebte Privatisierung des ohnehin darniederliegenden polnischen Gesundheitswesens nach sich ziehen. Die Pläne der PO sind auf diesem Gebiet besonders weit gediehen und sehen die Einführung verbindlicher privater Krankenversicherer, wie auch die Privatisierung der Krankenhäuser und Kliniken vor. »Es gibt keinen Grund, wieso Spitäler nicht normale Unternehmen sein sollten, die von ihren Besitzern vermittels der Verwaltungsräte überwacht würden«, heißt es im PO-Programm.
Die Bürgerplattform will überdies das zwischen Oder und Bug tätige Kapital mit einer weitgehenden Zerschlagung jeglicher arbeitsrechtlichen Überbleibsel beglücken. Als Ideal schwebt den polnischen Taliban des Wirtschaftsliberalismus eine Gesellschaft von (Schein-)Unternehmern vor, die – ob nun als Putzfrau oder Industriemagnat – auf »eigene Rechnung« arbeiten. Mit der Parole »Lockerung des Arbeitsmarktes« auf den Lippen, plant die PO die »Begrenzung der bisherigen arbeitsrechtlichen Vorschriften bei Arbeitsverträgen«. Keine Berufsgruppe solle arbeitsrechtlich verbindliche Arbeitsbedingungen vorfinden, alles sei eine Frage des konkreten vertraglichen Verhandlungsergebnisses zwischen Unternehmer und Angestellten, so das Ideal der Bürgerplattform. Als eine Konsequenz dieses angestrebten arbeitsrechtlichen Freifahrtscheins für Polens Kapitalisten sieht die linke Journalisten Magdalena Ostrowska eine Inflation scheinselbstständiger Arbeitsverhältnisse aufkommen. Angestrebt wird von der PO ebenfalls die Einführung von Studiengebühren an allen staatlichen Universitäten Polens.
Der Euro solle zudem »schnellstmöglich« zur offiziellen Währung des Landes avancieren, erklärte Tusk in seiner Regierungserklärung. »Die Polen wollen eine normale Regierung in einem normalen Land«, so der Premier. Der Staat solle »entschlackt« werden. »Verschlanken«, »deregulieren« und »privatisieren«, waren die zentralen Phrasen der Ansprache des Premiers, der in einer Art Slapstickeinlage den Aufbau eines »demokratischen Kapitalismus« für sich und seine Regierung als Ziel nannte.
Eine erste politische Schlacht schlugen die Liberalen bereits mit ihrem Koalitionspartner auf dem Gebiet der Steuerpolitik. Die als »gemäßigt« geltende Bauernpartei PSL weigerte sich »strikt«, die Einführung einer Flat-Tax mitzutragen. Also einigte man sich auf die Einführung eines zweistufigen Satzes von 18 bzw. 32 Prozent Einkommenssteuer. Der letztere Satz gilt allerdings nur für das »oberste eine Prozent« der polnischen Einkommenspyramide. Allerdings ist diese 99-prozentige Flat-Tax von der polnischen Realität nicht so weit entfernt: Derzeit gibt es drei Einkommenssteuersätze. Den geringsten von 19 Prozent führen über 70 Prozent aller Lohnabhängigen Polens ab, also alle, die weniger als umgerechnet 12000 Euro jährlich verdienen. Praktisch macht also die nivellierende Kraft der polnischen Elendslöhne den neolibaralen Wunschtraum schon heute wahr.