Neoliberaler Trott

„Junge Welt“, 22.10.2007
Donald Tusk von der Bürgerplattform wird nach Wahlsieg Polens neuer Premier. Kaczynski räumt Niederlage ein

Bis 23 Uhr mußte Donald Tusk am Sonntag abend zittern, bis nach etlichen Verzögerungen die ersten Hochrechnungen den Sieg seiner neoliberalen Bürgerplattform PO bei den polnischen Parlamentswahlen meldeten. Nach Auszählung von mehr als 90 Prozent aller Stimmen kam die PO auf einen Anteil von 41,6 Prozent. der ihren Vorsitzenden Tusk in die komfortable Lage versetzt, eine künftige Koalition entweder mit der gemäßigten Bauernpartei PSL oder mit den sozialdemokratisch-liberalen Wahlbündnis Linke und Demokraten (LiD) zu bilden. Die LiD erhielt 13,2 Prozent der Stimmen, die PSL 8,8 Prozent.

Stimmungsumschwung

Dabei konnte die rechtskonservativen Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) von Premier Jaroslaw und Präsident Lech Kaczynski als Regierungspartei in der Wählergunst zulegen – von über 25 Prozent 2005 auf 32 Prozent. Allerdings gingen ihre Stimmengewinne auf Kosten der ehemaligen Koalitionspartner. Die populistische Samoobrona scheiterte wie die Rechtsradikalen der »Liga der Polnischen Familien« an der Fünfprozenthürde und werden im künftigen Parlament nicht mehr vertreten sein. Kaczynski räumte bereits nach den ersten eindeutigen Prognosen die Niederlage ein. Seine Partei habe es mit einer »beispiellosen, breiten Angriffsfront« zu tun gehabt und deswegen die Wahl verloren, sagte der Zwillingsbruder von Staatspräsident Lech Kaczynski.

Die PO hat ihren Sieg hauptsächlich einer grandiosen populistischen Meisterleistung ihres Vorsitzenden Tusk zu verdanken, mit der er den bisherigen Minsterpräsidenten in die Defensive drängte. Als Wendepunkt des Wahlkampfs gilt ein Fernsehduell zwischen dem Premier und seinem rechtsliberalem Herausforerer, das gut eine Woche vor den Wahlen stattfand. Während dieses Auftritts gelang es dem nicht gerade als rhetorisches Talent bekannten Tusk überraschend, Kaczynski in die Ecke zu drängen und mit den uneingelösten Wahlversprechen sowie den sozialen Problemen im Land zu konfrontieren. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß ausgerechnet der radikal neoliberale Tusk den Premier an die heftigen Preissteigerungen bei Lebensmitteln, die Wohnungsmisere oder die massenhafte Arbeitsemigration vorwiegend junger Polen erinnerte.

Zudem kreidete der Vorsitzende der PO den Kaczynskis die Verschlechterung der Beziehungen zu Deutschland und Rußland an. Laut Tusk seien diese während der Regierungszeit der PiS »so schlecht wie seit 16 Jahren nicht mehr«. Weitere Sympathien sammelte der Oppositionsführer mit seiner überraschend deutlichen Kritik an dem Engagement polnischer Streitkräfte im Irak. Hier stellte Tusk sogar einen Abzug der polnischen Einheiten in Aussicht, die während des Wahlkampfs verstärkt vom irakischen Widerstand unter Feuer genommen wurden. Vor wenigen Tagen wurde sogar der polnische Botschafter im Irak bei einem Angriff schwer verletzt.

Partner noch offen

Allerdings stellt sich die Frage, ob es sich bei dem angekündigten Abzug aus dem Irak nicht um bloße Wahlkampfrhetorik handelt, da bisher weder die PO noch ihre potentiellen Koalitionspartner vom Wahlbündnis LiD als überzeugte Kriegsgegner in Erscheinung traten. Auf dem Feld der Sozial- und Wirtschaftspolitik dürfte es zwischen den beiden neoliberal gesinnten Gruppierungen ebenfalls kaum Konfliktpotential geben. Die im Wahlbündnis LiD befindliche »Demokratische Partei« wünscht sich genau- so wie die PO eine Flat-Tax, einen einheitlichen Steuersatz von 15 Prozent für alle Einkommensklassen und Steuerarten. Zudem dürfte eine Koalition aus PO und LiD die Privatisierung des in Agonie befindlichen polnischen Gesundheitswesens forcieren, das bereits von der PiS systematisch unterfinanziert wurde. Wenig Schwierigkeiten als möglicher Koalitionspartner dürfte auch die Bauernpartei machen. Deren Vorsitzender, Waldemar Pawlak, sagte am Wahlabend, er sei bereit, eine Koalition mit der Bürgerplattform zu bilden und werde auf ein Angebot von Tusk warten.

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