„Junge Welt“, 04.10.2007
Knapper Wahlausgang für prowestliche Kräfte in Ukraine. »Partei der Regionen« bleibt stärkste Kraft
Rein rechnerisch kann sich die Partei der Regionen des amtierenden ukrainischen Premierministers Viktor Janukowitsch als Sieger der Parlamentswahlen vom vergangenen Sonntag sehen. Die als rußlandfreundlich geltende Gruppierung ist klar als stärkste politische Kraft aus dem Urnengang hervorgegangen. Nach Auszählung von 95 Prozent aller Stimmen kommt sie auf gut 34 Prozent. Janukowitsch erklärte sich am Tag nach der Wahl zum Sieger und beanspruchte das Recht, mit der Regierungsbildung zu beginnen.
Doch das überraschend gute Abschneiden des prowestlichen Blocks Julia Timoschenko (BJT) dürfte den »Blauen« um Janukowtisch die Stimmung verdorben haben. Die Partei der ehemaligen Regierungschefin und bekannten Protagonistin der vom Westen finanzierten orangen Revolution erreichte über 30,8 Prozent Wählerzuspruch. In den letzten Vorwahlumfragen pendelte die BJT noch zwischen 20 und 25 Prozent. Zusammen mit der Partei Unsere Ukraine des Präsidenten Viktor Juschtschenko, die mehr als 14 Prozent erreichte, verfügen die prowestlichen Kräfte damit über eine knappe Mehrheit. Daher erklärte sich auch Timoschenko zur Wahlsiegerin und kündigte die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit Juschtschenkos Partei an.
Neben den drei großen Parteien schafften die ukrainischen Kommunisten und der zentristische Wahlblock Litwin den Sprung über die Dreiprozenthürde. Die Sozialistische Partei, die zusammen mit den Kommunisten in der Koalition von Premier Janukowitsch vertreten war, scheiterte mit 2,95 Prozent knapp.
Sowohl der Westen als auch Rußland erkannten das Wahlergebnis an. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sprach von »fairen und offenen Wahlen«. Auch das russische Außenministrium hatte keine nenneswerte Kritik.
In der Ukraine selbst stellen jedoch Parteien und Politiker das offizielle Wahlergebnis in Frage. Wie im Vorfeld von den Kommunisten und den »Blauen« um Janukowitsch befürchtet, sprachen Timoschenko und Juschtschenko unmittelbar nach der Wahl von einem möglichem Betrug in der östlichen und südlichen Ukraine – den Bastionen der prorussischen Kräfte. Präsident Juschtschenko ordnete am Montag eine Untersuchung der Verzögerungen bei der Stimmenzählung in der Ostukraine an. Der BJT kündigte an, gegen die Wahlergebnisse im ostukrainischen Donezk gerichtlich vorzugehen.
Die Partei der Regionen erklärte das Wahlergebnis hingegen für korrekt. Bei einer Kundgebung von Janukowitsch-Anhängern im Zentrum Kiews wurden im Gegenzug Anschuldigungen gegen die prowestlichen Kräfte laut, im Westteil der Ukraine eine freie und faire Wahl behindert zu haben. Tatsächlich sind nach Angaben der Polizei über 400 Fälle von Verstößen gegen den Wahlablauf aktenkundig geworden. Daher ist zu erwarten, daß die knapp gescheiterten Sozialisten gegen den Wahlgang klagen. Zumal das ukrainische Verfassungsgericht noch immer nicht eindeutig festgestellt hat, ob die durch Präsident Juschtschenko verfügte Parlamentsauflösung, die zu den vorgezogenen Wahlen geführt hat, verfassungskonform war.
Doch es gibt auch längerfristige Faktoren, die eine Stabilisierung der ukrainischen Politik verhindern. 2009 finden in der Ukraine Präsidentschaftswahlen statt, und Ambitionen auf dieses höchste Staatsamt hat nicht nur Janukowitsch. Auch Juschtschenko und Timoschenko orientieren auf einen Sieg. Selbst wenn die ehemaligen orangen Revolutionäre erst einmal eine Koalition bilden, dürfte die Rivalität zwischen Timoschenko und Juschtschenko so groß sein, daß auch eine Neuauflage der orangen Regierung von 2005 schlechte Zukunftsaussichten hat.