„Junge Welt“, 06.08.2007
Am 2. August begann offiziell die Kampagne zu den ukrainischen Parlamentswahlen Ende September. Lager von Juschtschenko und Janukowitsch gleichauf
Es war das inzwischen vierte Dekret, mit dem der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko am 1. August endgültig den Weg für vorgezogene Neuwahlen freimachte. Im Gegensatz zu seinem ersten Erlaß löste dieser jüngste, rein formelle Schritt keine Staatskrise mehr aus. Der vom Präsidenten verkündete Wahltermin des 30. September gilt als ein Kompromiß, der nach monatelangem Machtkampf zwischen dem prowestlichen Präsidenten und seinem Gegenspieler, dem als rußlandfreundlich geltenden Premier Viktor Janukowitsch, erreicht wurde.
Doch zumindest nach den neusten Umfragen bleibt es fraglich, ob der kommende Wahlgang tatsächlich einem der beiden verfeindeten Lager eine stabile Parlamentsmehrheit verschafft. In einer für die Zeitung Ukrainska Prawda durchgeführten und am 1. August publizierten Wählerbefragung sprachen sich 31 Prozent der Interviewten für die »Partei der Regionen« des Premiers Janukowitsch aus, während die prowestlichen Kräfte um den »Wahlblock Julia Timoschenko« und die Präsidentenpartei »Unsere Ukraine« auf 17,5 bzw. 12,8 Prozent hoffen können. Damit ergäbe sich eine Pattsituation zwischen dem »orangen« und »blauen« Lager, wie sie auch jetzt herrscht. Auf einen Einzug in die Oberste Rada können darüber hinaus mit prognostizierten 4,3 Prozent nur die ukrainischen Kommunisten rechnen, die dann bei anstehenden Koalitionsverhandlungen zum Königsmacher avancieren könnten. Die derzeit noch in der Regierung befindlichen Sozialisten haben keine Aussicht auf den Wiedereinzug ins Parlament.
»Unsere Ukraine«, die bei älteren Umfragen schon einmal weniger als zehn Prozent prognostiziert bekam, konnte durch die Anfang Juli erfolgreich abgeschlossene Vereinigung mit der »Bewegung zur Selbstverteidigung des Volkes« des Sozialisten Jurij Luzenko an Boden gewinnen. Luzenko gehörte zu dem rechten Flügel der Sozialistischen Partei. Er verließ diese Gruppierung, nachdem ihr Vorsitzender Olexandr Moros sich für die jetzige Koalition mit der »Partei der Regionen« entschloß.
Die unter dem sperrigen Namen »Unsere Ukraine – Selbstverteidigung des Volkes« fungierende Präsidentenpartei gibt sich nun zuversichtlich, den Machtwechsel einleiten zu können. Man werde nach den kommenden Wahlen nur eine Koalition mit dem »Wahlblock Julia Timoschenko« eingehen, ließen Parteifunktionäre am 2. August verlauten. Zu den Streitthemen zählt – neben den umstrittenen Bemühungen um einen NATO- und EU-Beitritt – auch die Einführung des Russischen als zweite Amtssprache.
Regierungschef Janukowitsch scheint den radikal prowestlichen Kräften, die sich insbesondere im Wahlblock der ehemaligen Regierungschefin Julia Timoschenko sammeln, den Wind aus den Segeln nehmen zu wollen. Am 1. August erklärte der Premier, daß eine engere wirtschaftliche Kooperation mit den östlichen Nachbarländern der Ukraine dem »europäischen Integrationsprozeß« keineswegs im Weg stehe: »Wir haben die Partner in der EU davon überzeugen können, daß die Festigung der Wirtschaftsbeziehungen zu unseren Nachbarn im Osten weder eine Alternative noch ein Hindernis für die Prozesse der europäischen Integration sind«, zitiert die russische Nachrichtenagentur RIA-Novosti den ukrainischen Regierungschef.
Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Rußland schreitet tatsächlich mit Riesenschritten voran. In der ersten Hälfte dieses Jahres stieg der bilaterale Handelsumsatz beider Länder um ganze 38 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum an. Falls die Wachstumsdynamik beibehalten werden könne, erreiche das Volumen das ukrainisch-russischen Handels in diesem Jahr 28 Milliarden US-Dollar, erklärte Janukowitsch während derselben Kabinettssitzung, in der er auch den »europäischen Integrationsprozeß« befürwortete. Laut der EU-Kommission belief sich der bilaterale Handel zwischen der Ukraine und allen EU-Staaten in 2006 auf 28 Milliarden Euro.