„Junge Welt“, 20.07.2007
Polen: Minister droht streikenden Ärzten und Krankenschwestern mit Klinikschließungen. Personal von 300 Krankenhäusern derzeit im Ausstand
Seit mehreren Monaten dauern die Ausstände in Polens Gesundheitswesen schon an. Zur Zeit werden annähernd 300 der 800 Kliniken des Landes bestreikt. Die Tarifgespräche der Gewerkschaften des Gesundheitssektors mit dem zuständigen Minister Zbigniew Religa gestalten sich dabei äußerst schwierig, da die Standpunkte der Tarifparteien sehr weit auseinander liegen. Die Ärzte fordern eine Verdopplung ihres Gehalts, während Religa lediglich eine Lohnerhöhung von 15 Prozent für die nächsten drei Jahre anbietet. Die Mediziner verdienen derzeit zwischen 350 und 800 Euro, Krankenschwestern kommen nicht einmal auf 300 Euro im Monat. Die Ausgaben für das Gesundheitswesen betragen mit nur vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts in etwa die Hälfte des entsprechenden EU-Durchschnitts und sind somit die niedrigsten in der gesamten Union.
Bei derart miserabler Entlohnung verwunderte es kaum, daß Hunderte Krankenschwestern bis zum 15. Juli für nahezu einen Monat den Platz vor dem Regierungssitz des polnischen Premiers besetzt hatten. Das im Verlauf der Belagerung entstandene »Weiße Städtchen« der Krankenschwestern wurde zu einem Zentrum der sozialen Proteste im Land und zum Sammelpunkt vieler gewerkschaftlicher und progressiver Gruppen. Als das polnische Parlament in die Sommerpause ging, brachen auch die Kämpfenden ihr Zeltlager ab, doch kündigten sie sogleich an, nach Rückkehr der Regierung aus dem Urlaub diese erneut heimzusuchen.
Während Ärzteschaft und das Klinikpersonal weiterhin am Ausstand festhalten, übt sich Religa in Drohgebärden gegenüber dem Klinikpersonal. In einem Rundfunkinterview erklärte er, daß in Folge des Streiks etliche Gesundheitszentren im gesamten Land geschlossen werden müßten, da nun hierfür das Geld fehle. »Die Ärzte waren sich dessen auch bewußt«, meinte Religa gegenüber Radio Tok-FM und bemerkte noch, daß es ganz gut wäre, wenn ein Teil der Kliniken verschwinden würde. Derer gebe es viel zu viele.
Zumindest Teilen der Ärzteschaft kommen diese Drohungen durchaus gelegen. Die Ärztegewerkschaft OZZL und der neoliberale Thinktank »Adam Smith Zentrum« schlugen auf einer kürzlich abgehaltenen Pressekonferenz vor, alle Gesundheitseinrichtungen des Landes auf »öffentlichen Auktionen« zu privatisieren. Diesem Ansinnen widersprechen nur die Gewerkschaften der Krankenschwestern und des weiteren Klinikpersonals entschieden.
Zudem warnte die Vorsitzende der Gewerkschaft der Arbeiter des Gesundheitswesens, Irena KomorowÂska, bei einer Kundgebung gegen die Schließung eines Warschauer Spitals, daß die schleichende, inoffizielle Privatisierung Polens Gesundheitswesen bereits erfaßt hat: »Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß viele Spitäler absichtlich verschuldet werden, nur um sie besser liquidieren und später privatisieren zu können.« Die
Wojewodschaftsregierung der Hauptstadt habe angeblich kein Geld für dieses Krankenhaus, doch gleichzeitig stelle sie 20 Millionen Zloty (5,3 Millionen Euro) zur Finanzierung der neuen, protzigen »Kathedrale der Göttlichen Vorsehung« im Reichenviertel Wilanow bereit, so Komorowska. Da hilft nur noch beten, daß man nicht krank wird.