Putins Rundumschlag

„Junge Welt“, 11.06.2007
Auf dem Petersburger Wirtschaftsforum stellte Rußlands Präsident die existierenden internationalen Finanzinstitutionen prinzipiell in Frage

Am Sonntag nutzte Rußlands Präsident Wladimir Putin eine hochrangig besetzte, internationale Wirtschaftskonferenz, um seine Vision eines alternativen, institutionellen Gefüges der Weltwirtschaft darzulegen. Der zum 11. internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg geladenen Managerelite westlicher Großkonzerne wurde von Putin so einiges zugemutet. Die Chefs von Shell, BP, Chevron, Coca-Cola, Siemens, Motorola und der Deutschen Bank – mitsamt ihrer Entourage aus der EU-Bürokratie – mußten sich anhören, wie der russische Präsident die Weltbank, die Welthandelsorganisation WTO und den Internationalen Währungsfonds (IWF) als »archaisch, undemokratisch und unflexibel« brandmarkte und zum Aufbau einer neuen Weltwirtschaftsordnung aufrief.

Nach Ansicht des russischen Präsidenten dominieren die »fortgeschrittenen industriellen Ökonomien«, wie die USA und die westeuropäischen Staaten, diese Institutionen, obwohl ihr Anteil am »globalen Reichtum« abnehme. »Wenn noch vor 50 Jahren 60 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts von den G-7-Staaten erzeugt wurde, ist es nun andersherum, und 60 Prozent werden von anderen Ländern produziert«, so Putin. Eine neuer, institutioneller Rahmen der Weltwirtschaft müsse daher vor allem dem steigenden ökonomischen Gewicht von Schwellenländern wie Rußland, China, Indien und Brasilien Rechnung tragen. Der IWF und die Weltbank seien in dem russischen Präsidenten zufolge in einer »ganz andere Wirklichkeit« entstanden und hätten nun an Bedeutung eingebüßt.

Obwohl Rußland offiziell bemüht ist, der WTO beizutreten, beschuldigte Putin gerade deren »größte Mitglieder«, mit diskriminierenden Maßnahmen gegen Entwicklungsländer vorzugehen: »Oftmals entspringt der Protektionismus, den die WTO angeblich bekämpfen soll, gerade aus den Reihen der entwickelten Länder.« Trotz aller Freihandelsbekenntnisse des Westens seien in letzter Zeit alle Versuche russischer Unternehmen, im westlichen Energie-, Telekommunikations- oder Luftfahrtsektor zu investieren, an protektionistischen Maßnahmen der jeweiligen Regierungen gescheitert. »Der heutige Protektionismus kommt oft von entwickelten Ländern, die diese Struktur geschaffen haben«, kommentierte Putin diese Doppelmoral des Westens, der Rußland immer wieder vorwirft, seinen Energiesektor gegen westliche Investitionen abzuschotten.

Der Präsident forderte, die Abhängigkeit der meisten Länder vom US-Dollar ab- und diversifizierte »Finanzzentren und Währungsreserven« aufzubauen. Konkret schlug Putin die Gründung eines überregionalen »eurasischen Instituts für den Freihandel« vor, das auf den Erfahrungen der WTO aufbauen solle. »Es gibt nur eine Antwort auf diese Herausforderung: die Bildung verschiedener Weltwährungen«, verkündigte Rußlands Präsident, der des weiteren den russischen Rubel als eine attraktive Währungsreserve propagierte.

Das 11. Petersburger Wirtschaftsforum sollte eigentlich dazu dienen, Rußland als sicheren, zukunftsträchtigen Investitionsstandort für westliche Konzerne zu präsentieren. Vor kurzem hatte die britische Regierung vor Investitionen in Rußland gewarnt, da dem russisch-britischen Gemeinschaftsunternehmen TNK-BP der Entzug einer Förderlizenz für ein sibirisches Gasfeld droht. Überdies mußte Shell seine Mehrheit an dem Öl- und Gasprojekt Sachalin-2 im Osten Rußlands an den staatlichen Gasmonopolisten Gasprom abtreten.

Putin versicherte nun, daß sein Land weiterhin für Investitionen »außerhalb weniger strategischer Wirtschaftsbereiche« offen sei. Der Kreml habe mitnichten vor, die Wirtschaft zu monopolisieren. Man bringe nur das unter Kontrolle, was sowieso dem Staat gehöre, erklärte Putin in Hinblick auf die Bildung großer Staatsholdings in den Sektoren Luftfahrt, Schiffsbau, Militärindustrie, Energiewesen und Rohstofförderung. Man plane keineswegs die Rückkehr zu einem »staatlichen Kapitalismus«, beruhigte der Kremlchef, letztendlich habe man vor, einen Teil der Staatsunternehmen wieder auf den Markt zu bringen: »Das werden lukrative Aktien«.

Die anwesenden, westlichen Wirtschaftsvertreter scheinen sich mit diesem Wirtschaftskurs zumindest abgefunden zu haben. Während des Wirtschaftsforums sollen laut Veranstalter über 30 Kooperationsabkommen im Gesamtwert von 13,5 Milliarden US-Dollar zwischen russischen und westlichen Unternehmen abgeschlossen worden sein. Allein Boeing konnte einen Deal in Höhe von 3,5 Milliarden US-Dollar vermelden. Der US-Luftfahrtkonzern wird bei der Modernisierung der russischen Fluggesellschaft Aeroflot beteiligt werden.

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