„Junge Welt“, 07.06.2007
Russische Wissenschaftler feilen an billigen Methoden zur Klimaregulierung. In der Hitze Moskaus wurde ein hemdsärmliger Ansatz vorgestellt: Aerosol versprühen
Ende Mai erreichten die Temperaturen in Moskau Rekordwerte. Der bisherige Spitzenwert für diese Jahreszeit lag bei 32 Grad im Schatten. Er wurde überboten. Das perfekte Wetter für Juri Israel, Direktor des Instituts für globales Klima und Umweltschutz der Russischen Akademie der Wissenschaften. Am 30. Mai präsentierte er in der russischen Hauptstadt Vorschläge zur Bekämpfung des Klimawandels. Israel gilt als einer der wichtigsten wissenschaftlichen Berater von Präsident Wladimir Putin und ist zugleich Vizevorsitzender des Weltklimarats der Vereinten Nationen (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC).
Um dem Klimawandel beizukommen, haben die Wissenschaftler um Juri Israel eine wahrlich außergewöhnliche Methode ersonnen: »Flugzeuge versprühen in einer Höhe von bis zu 14 Kilometern über der Erde eine dünne Aerosol-Schicht aus schwefelhaltigen Teilchen mit einem Durchmesser zwischen 0,25 und 0,5 Mikrometer«, zitierte die Nachrichtenagentur RIA-Novosti den Institutsdirektor. Diese winzigen Schwefelteilchen absorbieren einen Teil der Sonneneinstrahlung. Den Berechnungen der Experten um Israel zufolge müsse man »nur« eine Million Tonnen des mit Schwefelteilchen präparierten Aerosols versprühen, um die Sonneneinstrahlung um 0,5 bis ein Prozent zu verringern, folglich die Lufttemperatur um ein bis 1,5 Grad Celsius zu senken. Soweit die Prognose des russischen Chefklimatologen. Natürlich müßten die Aerosole von Zeit zu Zeit nachgesprüht werden, da die Schwefelteilchen ja auf die Erde niedergingen, ergänzte Israel gegenüber staunenden Pressevertretern. Mögliche Schäden oder gesundheitliche Auswirkungen stritt er ab.
Abschließend zählte Israel noch die »Vorteile« seines Masterplans zur Klimaregulierung auf: Vor allem sei die neue Methode viel billiger als die im Kyoto-Protokoll vorgesehenen Gegenmaßnahmen, die auf eine kostspielige Reduzierung der Treibhausgase zielen. Zudem könne man schneller und »operativer« auf Klimaveränderungen reagieren.
So abenteuerlich der Plan auch klingen mag, im Grunde stützt er sich auf das wissenschaftlich hinlänglich bekannte Phänomen des »global dimming«, der globalen Verdunklung. Durch die mit zunehmender Wirtschaftstätigkeit einhergehende Luftverschmutzung hat sich die Sonneneinstrahlung an der Erdoberfläche zwischen 1961 und 1990 um ganze vier Prozent verringert. Staub- und Schmutzpartikel, Aerosole und die Kondensstreifen von Flugzeugen absorbieren einen Teil des Sonnenlichts. Wie stark das »global dimming« dem Klimawandel entgegenwirkt, konnten US-Forscher nach der Tragödie des 11. September 2001 überprüfen, als für einige Tage der gesamte Flugverkehr über den USA ausgesetzt wurde: die Temperaturdifferenz zwischen Tag und Nacht war während des Flugverbots im Landesdurchschnitt um 1,1 Grad Celsius höher war als in den Tagen davor und danach. In den vergangen 30 Jahren wurde niemals ein solcher Temperatursprung in den USA gemessen.
Die russischen Wissenschaftler nehmen praktisch eine »gezielte Verschmutzung« in Angriff, um den Effekt des »global dimming« zu verstärken. Immerhin anerkennt auch Juri Israel, daß an der Reduktion von Treibhausgasen kein Weg vorbeiführt: »Ich möchte kein Gegenstück zum Kyoto-Protokoll. Aber parallel zu den vorhandenen Methoden sollte man auch an billigeren Verfahren arbeiten. Ich bin dafür, daß gleichzeitig an mehreren Methoden gefeilt wird«, zitiert RIA-Novosti den russischen Klimatologen, der noch im August 2005 bestritt, daß menschliche Aktivitäten für die Klimaerwärumg verantwortlich seien.
Rußland wird durch den Klimawandel mit massiven, nahezu katastrophalen Problemen konfrontiert werden. Walentin Melschko vom Zentralen Geophysikalischen Observatorium warnte schon im Oktober 2003, daß der Klimawandel zu heftigen Dürren im europäischen Teil Rußlands führen würde. Zudem könnte die gesamte Nadelholzvegetation der Taiga der globalen Erwärmumg zum Opfer fallen, die Steppenzone sich weiter gen Norden ausweiten. Am schwerwiegendsten für den Osten des Landes – wie auch für das Gesamtklima – wäre ein Auftauen der sibirischen Permafrostböden. Alle auf dem Permafrost errichteten Siedlungen und Straßen würden buchstäblich im Schlamm versinken, ein Großteil des sibirischen Pipelinesystems bräche mit Sicherheit zusammen. Darüber hinaus gilt der russische Permafrostboden als ein riesiger Speicher von Treibhausgasen, nahezu 500 Milliarden Tonnen CO2 sollen nach Ansicht von Wissenschaftlern in ihm gefroren sein. Bei ungehemmter Klimaerwärmung soll bis 2050 die Hälfte des russischen Permafrostbodens verschwunden sein, die freigesetzten Treibhausgase würden die globale Erwärmung erheblich beschleunigen.