„Junge Welt“, 04.04.2007
Washingtons Mann in Warschau ist besorgt über den schwindenden Einfluß der USA in Osteuropa
Die Biographie des kürzlich aufgrund machtpolitischer Querelen entlassenen polnischen Verteidigungsministers Radek Sikorski liest sich wie der Karriereplan eines konservativen angelsächsischen Spitzenpolitikers. 1981 als »Dissident« aus Polen fliehend, strandete Sikorski in England. Der Oxfordabsolvent verkehrte in den erzreaktionären Zirkeln des britischen Konservatismus und nahm schon 1984 die britischen Staatsangehörigkeit an. Es folgte eine Karriere als Polen-Berater des konservativen Medienmoguls Rupert Murdoch in den 90ern. Ab 2002 arbeitete Sikorski im einflußreichen US-Think-tank American Enterprise Institute, bevor er 2005 zum polnischen Vertidigungsminister ernannt wurde.
Dieser für eine strikte Bindung Polens an die USA eintretende Politiker veröffentlichte unlängst in der WashingÂton Post einen Brandbief, in dem er Amerika vor einem Verlust der »letzten europäischen Freunde« warnte. »Wenn die Bush-Administration denkt, daß die Polen und Tschechen vor Freude springen und alles akzeptieren werden, was ihnen angeboten wird, wird sie einen Zusammenprall der rauen Wirklichkeit erleben…«, so die klaren Worte Sikorskis. Das Ansehen der USA in Polen sei im Fallen begriffen, die Opposition zur Intervention im Irak und zur Raketenabwehr nehme zu: »Unsere altmodische Erwartung, daß die Vereinigten Staaten sich erkenntlich für unsere Teilnahme im Irak zeigen würden, erwies sich als falsch«, erläuterte Sikorski diesen Sinneswandel.
Gleichzeitig habe die EU-Mitgliedschaft für eine Reorientierung polnischer Innen- und Außenpolitik gesorgt. So erhalte Warschau von der EU jährliche Beihilfen zur Modernisierung der Infrastruktur von umgerechnet 120 Millionen US-Dollar, während Washingtons Militärhilfe sich nur auf 30 Millionen per anno beliefe – laut Sikorski zu wenig, um die Kosten der polnischen Militäreinsätze an der Seite der USA zu decken.
Schließlich benannte Sikorski das polnische Trauma, das die heutige Sicherheitspolitik seines Landes prägt: »Polen wird verfolgt von der Erinnerung, 1939 gegen Hitler allein gekämpft zu haben, während unsere Alliierten zuschauten.« Niemals wieder werde Polen es erlauben, sich mit Papiergarantien abspeisen zu lassen, die nicht durch praktische Maßnahmen gedeckt sind. Daher müssen laut Sikorski die USA bereit sein, die bilateralen Sicherheitsvereinbarungen beider Länder auszubauen und die Patriot-Luftabwehrraketen sowie deren Nachfolgesystem THAAD in Polen zu stationieren.
Die USA müßten wieder die Welt mit den »Augen ihrer Verbündeten sehen«, doch die ersten Vorzeichen sind Sikorski zufolge besorgniserregend. Eine an Polen gerichtete erste Note bezüglich der Stationierung der Raketenabwehr schickte »irgend so ein Genie im Pentagon oder State Department« mit einer vorgefertigten Antwort, die polnische Stellen nur zu unterschreiben hätten. »Dabei dachten die Eingeborenen hier, sie seien in der Lage, ihre diplomatische Korrespondenz selbstständig zu verfassen«, so der sarkastische Kommentar Sikorskis.