„Junge Welt“, 04.04.2007
Die Differenzen zwischen Berlin und seinen östlichen Nachbarn Tschechien und Polen scheinen sich zu einem handfesten, strategischen Gegensatz zu verdichten
Es knirscht mächtig im Gebälk des »Hauses Europa«. In letzter Zeit verschärfen sich die Spannungen zwischen der deutschen Führungsmacht und Teilen der östlichen Peripherie der EU. Die politischen Eliten Tschechiens und Polens wagen es inzwischen, in etlichen essentiellen Fragen dem deutschen Standpunkt und Interesse offen zu widersprechen. Diese Dissonanzen umfassen so vielschichtige Komplexe wie den von Rußland und Deutschland geplanten Bau der Ostseepipeline, die geschichtsrevisionistischen Tendenzen in Deutschland, oder den umstrittenen Aufbau der US-Raketenabwehr in Polen und Tschechien.
Streit über Verfassung
In jüngster Zeit kam mit der teilweise scharf geführten Auseinandersetzung um die von Berlin forcierte Wiederbelebung des europäischen Verfassungsprojekts ein weiterer Streitpunkt hinzu, der auf einen prinzipiellen, strategischen Gegensatz zwischen Berlin auf der einen und Prag und Warschau auf der anderen Seite deutet. Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte in ihrer Berliner Rede zum 50. Jahrestag der »Römischen Verträge« den deutschen Willen, die EU-Integration auf den Feldern der Energie-, Außen-, Innen- und Rechtspolitik zu vertiefen. Eine leicht abgewandelte EU-Verfassung soll gemäß den Vorstellungen der deutschen EU-Ratspräsidentin bis »Mitte 2009« ratifiziert sein. Zudem plant Berlin mittelfristig den Aufbau einer gemeinsamen Europäischen Armee. Zweifelnden Staaten drohte Merkel schon mal mit Krieg: »Wir sollten Frieden und Demokratie nie als etwas Selbstverständliches abhaken«, orakelte die Kanzlerin gegenüber Bild Ende März: »Die Idee der europäischen Einigung ist auch heute noch eine Frage von Krieg und Frieden.«
Polnische und tschechische Spitzenpolitiker ließen hingegen kaum eine Gelegenheit verstreichen, um ihre grundsätzlichen Bedenken gegenüber der auf weitere Integration zielenden Europapolitik Deutschlands Ausdruck zu verleihen. Der tschechische Präsident Vaclav Klaus sah im Vorfeld des Berliner EU-Gipfels kaum eine Chance für das Verfassungsprojekt, da es »derzeit keinen Konsens gibt, was den Inhalt angeht«. Tschechiens Premier Mirek Topolanek erklärte, daß die »europäischen Institutionen« gut funktionierten und mitnichten in einer Krise steckten: »Ich finde die ganze Diskussion etwas künstlich. Es wird deshalb schwer sein, uns unter Druck zu setzen, um irgendwelchen Deadlines zuzustimmen.«
Polnische Politiker nannten konkret den geplanten neuen Abstimmungsmodus in der EU als inakzeptabel, der die derzeitige Vetomöglichkeit eines jeden Mitgliedsstaates bei wichtigen Entscheidungen ersetzen soll. Marek Cichocki, praktischerweise sowohl EU- als auch Deutschlandbeauftragter der polnischen Regierung, kündigte die Blockade der Verfassungsdiskussion an, wenn am geplanten, die bevölkerungsstarken Länder besonders begünstigten Abstimmungsmodell festgehalten werde. Die Kompetenzen eines anvisierten europäischen Außenministers und einer ständigen EU-Präsidentschaft müßten laut Cichocki ebenfalls stark begrenzt und strikt umrissen sein. Polens Premier Jaroslaw Kaczynski verknüpfte jüngst die weitere EU-Integration mit einem rechtlich verbindlichen Verzicht Deutschlands auf Entschädigungsforderungen gegenüber Polen: »Man kann nicht über eine stärkere europäische Integration sprechen, bevor dieses Thema nicht geklärt ist«, erklärte er.
Rückendeckung aus den USA
Ein erstes öffentliches Koordinierungstreffen zwischen der polnischen und tschechischen Führung fand am 19. Februar statt, als sich beide RegierungsÂchefs zu Konsultationen bezüglich des Aufbaus der US-Raketenabwehr auf dem Territorium ihrer Länder in Warschau trafen. Tatsächlich können beide Staaten diesen offenen Konfrontationskurs gegenüber Deutschland und Rußland nur mit US-amerikanischer Rückendeckung durchhalten. Doch so ganz geheuer ist den beiden geopolitischen Leichtgewichten ihre prekäre internationale Lage nicht: Im Austausch für die Stationierung der Raketenabwehr erwarten Prag und Warschau von den USA verbindliche Sicherheitsgarantien und eine massive Intensivierung der jeweils bilateralen militärpolitischen Zusammenarbeit. Washington hingegen ließ sich die Gelegenheit nicht nehmen, den europäischen Integrationsprozeß zu stören und so die Formierung einer auch militärisch unabhängigen und selbstständig agierenden EU zumindest zu verzögern.
Schließlich wird es aufgrund der zunehmenden Spannungen auch Deutschland zunehmend schwerer fallen, seine Schaukelpolitik zwischen Washington und Moskau fortzuführen, ohne sich auf eine Bündnisoption eindeutig festzulegen. Dieser Konflikt wird jetzt innerhalb der großen Koalition ausgetragen, zwischen der von der CDU propagierten Integration der Raketenabwehr in NATO-Strukturen und der generellen Ablehnung dieser Pläne durch Teile de SPD.
Den letzten Anstoß, sich in die Arme der USA zu werfen, gab zumindest für Polen eindeutig die zwischen Rußland und Deutschland geplante Ostseepipeline, die an der Weichsel Assoziationen an den Hitler-Stalin Pakt weckte. Mit diesem Vorhaben wird die Energiesicherheit Polens und potentiell der gesamten mittelosteuropäischen Peripherie massiv gefährdet. Diese Alternative zu den über das Territorium von Ländern wie Belarus, der Ukraine oder eben Polen verlaufenden Pipelines würde der wirtschaftlichen und politischen Erpressung durch Berlin oder Moskau Tor und Tür öffnen.