Gekürzt in „Junge Welt“, 12.02.07
Der Streit um die von den USA in Osteuropa geplante Raketenabwehr eskaliert. Russland kündigt massives Rüstungsprogramm an.
In die ohnehin seit geraumer Zeit angespannten Beziehungen zwischen den USA und Russland scheint eine erneute Eiszeit einzukehren. Den bisherigen Höhepunkt des in jüngster Zeit eskalierenden, verbalen Schlagabtausches zwischen den ehemaligen Kontrahenten des ‚Kalten Krieges‘ setzte der russische Präsident Putin während der münchener ‚Sicherheitskonferenz‘. Laut Putin ziele die von den USA und dem Westen exzessiv eingesetzte Gewalt darauf ab, eine Unioplare Weltordnung zu errichten. ‚Dies wirkt als Katalysator für Wettrrüsten und treibt die Bestrebungen zum Besitz von Massenvernichtungswaffen voran‘, erklärte Putin vor dem hochrangig besetzten Publikum. ‚Wir sind an einer Schwelle angelangt, wo man sich Sorgen über die globale Sicherheitsarchitektur machen muss.‘, so die eindringliche Warnung des Kremlchefs.
Einige Tage zuvor hatte der amerikanische Verteidigungsminister Robert Gates bei einer Anhörung vor dem Verteidigungsausschuss des US-Kongresses erklärt, daß die Vereinigten Staaten auch zu militärischen Auseinandersetzungen mit Russland und China bereit sein müssten. Die US-Landstreitkräfte haben laut Gates einen erhöhten Finanzbedarf, ‚weil wir nicht wissen, was an solchen Orten wie Russland, China, Nordkorea, Iran und anderen passiert.‘ Die USA müssen bereit sein, Gefahren zu begegnen, die sich aus den ‚unklaren Positionen von Ländern wie Russland und China ergeben‘, so Gates. Nach Ansicht des neuen amerikanischen Verteidigungsministers versuche Präsident Putin, den Einflußbreich Russlands auf den gesamten postsowjetischen Raum auszudehnen und die Ressourcen sowie etliche Wirtschaftssektoren des Landes wieder unter staatliche Kontrolle zu stellen. Ähnlich argumentierte gegenüber der Süddeutschen Zeitung der republikanische US-Senator und Präsidentschaftskandidat Jahn McCain, der Russland vorwarf, ‚imperialistischen Einfluss auf seine Nachbarstaaten zu nehmen‘ und separatistische Konflikte zu schüren.
Diesen scharfen US-Angriffen ging am 7. Februar eine Ansprache des russischen Verteidigungsministers Sergej Iwanow voraus, der vor der russischen Staatsduma ankündigte, die Streitkräfte des Landes einer umfassenden Modernisierung zu unterziehen. Laut Iwanow sollen in den kommenden acht Jahren umgerechnet 145 Milliarden Euro investiert werden, um an die 45 Prozent der Wehrtechnik der russischen Armee zu ersetzen. An die 100 000 Militärfahrzeuge, zahlreiche strategische Bomber und 31 Kriegsschiffe sollen bis 2015 den Streitkräften zu Verfügung gestellt werden.
Im Zentrum dieser massiven Rüstungsanstrengung stehen aber 50 neu entwickelte und bis 2015 zu installierende Interkontinentalraketen des Typs Topol-M, die nach Ansicht russischer Militärexperten in der Lage sein sollen, das Raketenabwehrsystem zu durchbrechen, das die USA in Osteuropa aufbauen wollen. Gegenüber der Presse bezeichnete Iwanow am 8. Februar diesen Raketenabwehrschirm als ein ‚unfreundliches Signal‘, das Russland zu eben diesen ‚Gegenmaßnahmen‘ nötige.
Diese Ablehnende Haltung Iwanows gegenüber dem angeblich zur ‚Abwehr terroristischer Angriffe‘ geplanten Raketenschutzschirm teilt auch eine Mehrheit der Bevölkerung Polens und Tschechiens. Jüngsten Umfragen zufolge sollen nur 31 Prozent der Bürger Tschechiens die Stationierung einer amerikanischen Radarstation befürworten, die Teil der Raketenabwehr wäre. Die offizielle Anfrage stellten die USA am 21. Januar, nur zwei Tage nachdem der Vorsitzende der Konservativen ‚Bürgerpartei‘ ODS, Mirek Topolanek, mit Hilfe von zwei Sozialdemokratischen Überläufern zum Premier gewählt wurde und ein monatelanges Patt zwischen linken und rechten Parteien im tschechischen Parlament durchbrach. Topolanek stimmte sofort dem Bau der Radaranlage zu, doch inzwischen sehen sich die Konservativen samt ihrer christlichen und ‚Grünen‘ Koalitionäre mit zunehmenden Protesten konfrontiert. Am 29. Januar forderten Tausende Demonstranten, die Entscheidung über die Stationierung der Radaranlage in einem Referendum zu stellen.
Der polnische Kabinattsminister Przemyslaw Gosiewski machte schon Anfang Februar klar, daß die polnische Regierung auf Nummer sicher gehen, und ein eventuelles Referendum in dieser Frage nicht zulassen werde, da die ‚Verteidigungspolitik von der Regierung gemacht‘ werde. In Polen sollen die Abschussvorrichtungen für die US-Abfangraketen stationiert werden. Im Gegenzug soll einen Bericht der polnischen Zeitung Rzeczpospolita zufolge Washington bereit sein, Warschau das Nachfolgesystem der ‚Patriot‘ Luftabwehrraketen zur Verfügung zu stellen. Das THAAD-System soll in drei Jahren einsatzfähig sein, über eine Reichweite von über 200 Kilometern verfügen und vor allem Kurz- und Mittelstreckenraketen abwehren können. Laut der Rzeczpospolita übertrifft das US-Angebot alle Erwartungen polnischer Verteidigungspolitiker, die eigentlich davon ausgingen, daß die betagten ‚Patriot‘ Systeme an der Weichsel stationiert würden und somit wenig Interesse verspüren, der polnischen Bevölkerung die Gelegenheit zu geben, diesen Deal bei einem Referendum abzulehnen.