„Junge Welt“, 17.01.07
Trotz Übereinkunft im Energiestreit bleiben die Beziehungen zwischen Rußland und Belarus vergiftet. Im Westen beißt Minsk weiter auf Granit
Die energiepolitischen Auseinandersetzungen zwischen Belarus und Rußland, die kurzzeitig zur Unterbrechung der Rohölversorgung der BRD und Polens führten, scheinen vorerst beigelegt. Am Freitag vergangener Woche traten die Premierminister beider Staaten nach einem zehnstündigen Verhandlungsmarathon vor die Presse, um den ausgehandelten Kompromiß der Öffentlichkeit zu präsentieren. Ausgelöst wurde die neuerliche Krise zwischen den ehemals eng verbündeten Staaten, als Rußland ab 2007 einen Zoll von 180 US-Dollar auf jede Tonne Rohöl einführte, das nach Belarus exportiert wurde. Da beide Länder eigentlich eine Zollunion gegründet hatten, übte Belarus Vergeltung und führte Transitzölle von 45 US-Dollar pro Tonne für russisches Öl ein.
Keine Freundschaft
Der nun erzielte Kompromiß besagt, daß Belarus den vollen Transitzoll auf russisches, nach Westeuropa durch die »Drushba«(»Freundschaft«)-Pipeline geleitetes, Rohöl abschafft. Rußland wiederum senkt seinen Exportzoll von 180 auf zunächst 53 US-Dollar. Der Kreml warf Belarus in diesem Zusammenhang vor, billiges Rohöl aus Rußland zu importieren, es in den Raffinerien des Landes weiterzuverarbeiten und mit Gewinn auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Um diesen, für Belarus äußerst einträglichen, Reexport veredelten russischen Rohöls zu unterbinden, verpflichtete sich Minsk, seinen Exportzoll auf den russischen Satz von 180 US-Dollar je Tonne anzupassen und 70 Prozent dieser Einnahmen an Moskau abzuführen. Ab 2008 sollen 80 Prozent, ab 2009 sogar 85 Prozent aller belarussischen Einnahmen nach Moskau fließen.
Die Einführung russischer Zölle in Belarus und die Verpflichtung des Landes, einen Großteil der Einnahmen aus dem Export von Ölprodukten an Moskau abzuführen, markieren einen klaren Verhandlungssieg der russischen Regierung. Nach Ansicht von Beobachtern lohne sich nun die Weiterverarbeitung und der Reexport russischen Öl für Belarus nicht mehr. Dem armen Belarus dürften somit Einnahmen in Milliardenhöhe entgehen, bei gleichzeitiger Verdopplung des Preises für russisches Erdgas, die ebenfalls ab 2007 in Kraft trat. Russische Experten gehen davon aus, daß Belarus durch diese Reexporte russischen Öls, Einnahmen von bis zu vier Milliarden US-Dollar jährlich erzielt hatte. Auf die gut ausgebauten sozialen Sicherungssysteme des Landes dürfte somit in den kommenden Jahren eine harte Belastungsprobe zukommen.
Strategischer Bruch
In einer am Sonntag gehaltenen Rede betonte der belarussiche Präsident Alexander Lukaschenko den befristeten Charakter der Vereinbarung: »Die derzeitigen Vereinbahrungen und Preise gelten für Januar und Februar. Sie sind für uns mehr als akzeptabel«, so Lukaschenko. Tatsächlich bergen etliche Vertragseckpunkte weiteres Konfliktpotential. So hat beispielsweise Rußland das Recht, den für Belarus gültigen Exportzoll von derzeit 53 US-Dollar alle zwei Monate neu zu verhandeln, und es ist eher unwahrscheinlich, daß Moskau sich zukünftig mit diesem Zollsatz begnügt.
Diese formelle Einigung kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß im Zuge der vergangenen Auseinandersetzungen die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Staaten einen strategischen Bruch erlebten. Wie vergiftet die Atmosphäre derzeit zwischen Minsk und Moskau ist, bezeugen sonntägliche Äußerungen Lukaschenkos, der die Mitgliedsländer der EU vor Rußland warnen wollte. So werde die EU bald die »Schärfe« der russischen Energiepolitik zu spüren bekommen, orakelte der Staatspräsident. Diese fast schon verzweifelten Annäherungsversuche Lukaschenkos an den Westen stoßen dort auf Granit. Die EU und Kanada haben ihre Sanktionen gegen Belarus verschärft. Am Freitag setzte US-Präsident George W. Bush noch eins drauf und gab weitere Finanzmittel zur Förderung von »unabhängigen Medien« und Oppositionsgruppen in Belarus frei.