Juschtschenko entmachtet

„Junge Welt“, 15.01.07
Ukraine: Neue Gesetzgebung macht den Präsidenten zur Repräsentationsfigur

Unsere Ukraine«, die Partei des prowestlichen ukrainischen Präsidenten Viktor Jusch­tschenko, wählte eine äußerst drastische Sprache, um Stellung zu den jüngsten politischen Spannungen im Land zu beziehen: Das von Abgeordneten der »Antikrisenkoalition« und dem »Wahlblock Julia Timoschenko« am Freitag verabschiedete Gesetzespaket ziele auf eine Monopolisierung der Macht beim Ministerpräsidenten. »Unsere Ukraine« fasse dieses Gesetz als einen Verfassungsbruch und eine Ursupation von Macht auf, hieß es in der Stellungnahme.
Letztes Veto
Diesen markigen Worten aus dem Präsidentenlager ging die bisher größte persönliche Niederlage Juschtschenkos im Machtpoker mit dem als prorussisch geltenden Premier Viktor Janukowitsch voraus. Der Präsident der Ukraine dürfte künftig nur noch repräsentative Funktionen ausüben. In einer Kampfabstimmung wurde ein Gesetzespaket durch das ukrainische Parlament gebracht, das Juschtschenko seiner Machtmittel weitgehend beraubt. Zukünftig soll der Präsident den vom Parlament gewählten Premier nicht mehr ablehnen dürfen. Darüber hinaus verliert der Präsident das Recht, den Verteidigungs- und Außenminister persönlich ernennen zu können und mit Präsidialdekreten in die Gesetzgebung eingreifen zu können.

Die »Doppelherrschaft« zwischen Präsident und Premier, die in der neuen, seit 2006 geltenden ukrainischen Verfassung festgelegt wurde, geht auf einen Kompromiß zwischen den prowestlichen und den rußlandfreundlichen Kräften des Landes zurück, der im Verlauf der »orange Revolution« errungen wurde. Damals, Ende 2004, erklärte sich die ostukrainische, prorussische Oligarchie bereit, das Präsidentenamt dem prowestlichen Juschtschenko zu überlassen, wenn im Gegenzug die Befugnisse des Präsidenten eingeschränkt würden.

Doch nun verliert Juschtschenko seine letzten Machtmittel, wobei selbst ehemalige Kampfgefährten sich gegen den Präsidenten stellen. Wohl zum letzten Mal hatte der das Recht, ein Veto gegen das neue Gesetzespaket einzulegen, was nur von mindestens zwei Dritteln der Abgeordneten wieder aufgehoben werden konnte. Tatsächlich stimmten 330 der 450 Abgeordneten des ukrainischen Parlaments das Präsidentenveto nieder, da selbst die Vertreter des »Wahlblocks Julia Timoschenko« sich gegen den einstigen Verbündeten wandten. Julia Timoschenko, die genauso wie der Präsident auf eine Westintegration der Ukraine setzt, erklärte, daß die neue Gesetzgebung »die Rechte der Opposition« schütze.
Präsident will klagen
Diese punktuelle Kooperation zwischen Timoschenko und Janukowitsch ermöglichte es erst, den Präsidenten de facto zu entmachten. Die Konkurrenz zwischen den ehemaligen »orange Revolutionären« scheint stärker ausgeprägt zu sein als deren Abneigung gegen die durch Janukowitsch repräsentierte prorussische Oligarchie. Der Präsidentenpartei blieb nach verlorener Abstimmung nichts anderes übrig, als sich in theatralische Gesten zu flüchten. Die gesamte Fraktion »Unsere Ukraine« verließ demonstrativ das Parlament, wobei einzelne Mitglieder die einstigen Kampfgefährten des »Wahlblock Julia Timoschenko« als »Verräter« beschimpften.

Eine Hoffnung bleibt dem Präsidentenlager noch. Aus dem Umfeld Jusch­tschenkos hieß es, er werde das ihn entmachtende Gesetz nicht unterschreiben und sich statt dessen an das Verfassungsgericht der Ukraine wenden.

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