„Junge Welt“, 16.01.07
Polens und Estlands Eliten im antikommunistischen Rausch
Trotz der EU-weit höchsten Arbeitslosigkeit, trotz Wohnungsmangels und eines miserablen Lohnniveaus – Polens nationalkonservative Regierung hat ihre ganz eigenen Prioritäten. Etliche Abgeordnete der Regierungspartei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) starteten eine Initiative, um den 1. Mai als Feiertag in Polen abzuschaffen. Nach den Vorstellungen der PiS-Abgeordneten soll statt dessen ein »Tag der Arbeit« im Juni oder Dezember eingeführt werden, mit dem entweder des Poznaner Arbeiteraufstands im Juni 1956 oder der Arbeiterunruhen vom Dezember 1970 gedacht werden soll.
Dieser Gesetzesvorstoß der Konservativen entstand im Zuge einer von der rechtsradikalen Partei »Liga der Polnischen Familien« initiierten Parlamentsdebatte über die Neubewertung der Bedeutung des 1. Mai. Während der Debatte gelang es den Rechtsradikalen bereits, die Bezeichnung des 1. Mai als »Feiertag der Arbeiterklasse« aus der Präambel des entsprechenden Gesetzes zu streichen. Von nun an soll der 1. Mai in Polen »zu Ehren all derer gefeiert werden, die mit ihrer Arbeit zur Größe der Nation« beigetragen haben.
Noch während der Parlamentsdebatte gingen aber etliche Abgeordnete weiter und forderten durch Zuruf die generelle Abschaffung des 1. Mai. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der PiS, Krzysztof Tchorzewski, erklärte gegenüber der Tageszeitung Gazeta Wyborcza, daß 121 Abgeordnete seiner Partei sich bei der entsprechenden Abstimmung der Stimme enthalten haben, um für die Abschaffung des 1. Mai zu demonstrieren. Nun solle eine formelle Gesetzesinitiative gestartet werden, um diesen »stalinistischen Feiertag« abzuschaffen, so Tchorzewski.
In Estland schlägt die antikommunistische Hysterie hingegen in Leichenschändung um. Das estnische Parlament verabschiedete am 10. Januar ein sogenanntes »Gesetz über den Schutz von Soldatengräbern«. In bester Orwellscher Tradition legitimiert dieses neue Gesetzwerk den Abriß aller sowjetischen Ehrendenkmäler im Land und die »Umbettung« sowjetischer Gefallener. Konkret sollen die sterblichen Überreste sowjetischer Soldaten entsorgt werden, die bei der Befreiung Tallinns von Nazitruppen starben und in der Nähe eines zentral in der Stadt gelegenen Denkmals beigesetzt wurden. Das Denkmal selbst soll ebenfalls geschleift werden.
Das Gesetz wurde mit überwältigender Mehrheit vom estnische Parlament gebilligt, nur fünf Abgeordnete votierten dagegen, 66 stimmten dafür. Das Gesetz erlaubt die Umbettung sterblicher Überreste und die Verlegung der dazugehörigen Monumente, wenn »sich die Gräber an unpassenden Stellen befinden«. Laut dem estnischen Regierungschef Andrus Ansip trifft dies auf das sowjetische Ehrenmal in Tallinn zu, da es sich hierbei um ein »Symbol der sowjetischen Besetzung Estlands« handele. Dafür sei kein Platz im Zentrum der Hauptstadt, so Ansip.
Mit Denkmälern, die der estnischen Kollaborateure mit Nazideutschland gedenken, scheinen die estnischen Behörden hingegen keine Probleme zu haben. Im Oktober 2005 wurde im estnischen Lagedi ein Denkmal für die estnischen Mitglieder der Waffen-SS eingeweiht, lokale Politiker waren bei dem Treiben anwesend. An die 20 000 Esten kämpften während des Zweiten Weltkrieges in diversen Kampfverbänden der Waffen-SS.
Rußland reagiert auf diesen estnischen Geschichtsrevisionismus mit aller Härte. Am 15. Januar bereitete die russische Staatsduma eine Resolution vor, die Estland Wirtschaftssanktionen für den Fall androht, sollten die sowjetischen Denkmäler in dem baltischen Land tatsächlich abgerissen werden. Der Resolutionsentwurf soll der Duma am 17. Januar zur Diskussion vorgelegt werden.