„Junge Welt“, 27.12.06
Machtvakuum in Turkmenistan könnte zu Auseinandersetzungen führen. Ausland hofft auf Einflußnahme auf Wahl des Nachfolger
Während am vergangenen Sonntag Tausende Turkmenen von ihrem am 21. Dezember unerwartet verstorbenen Präsidenten Abschied nahmen, sprach die russische Presse Klartext. Nach dem Tod von Saparmurad Nijasow gebe es in Turkmenistan ein Machtvakuum, das zu Verteilungskämpfen führen werde. »Die Frage ist, ob Amerika oder Rußland zuerst nach Turkmenistan kommt«, hieß es in der Wirtschaftszeitung Wedomosti. Seit ihrer Unabhängigkeit 1991 wurde die zentralasiatische Republik von Nijasow beherrscht. Sein Erbe fällt üppig aus: Turkmenistan verfügt mit geschätzten zwei Billionen Kubikmetern Erdgas über die – nach Rußland – zweithöchsten Reserven im gesamten postsowjetischen Raum.
Innerhalb der turkmenischen Machtelite haben die Auseinandersetzungen um die Nachfolge des Autokraten bereits begonnen. Der Verfassung gemäß stünde das Amt des Interimspräsidenten dem Parlamentsvorsitzenden Owegeldy Atajew zu. Weil gegen ihn aber plötzlich »juristische Ermittlungen« aufgenommen wurden, nahm am Wochenende Gurbanguly BerdymuÂchammedow auf Nijasows vergoldeten Sessel Platz.
Hinter der Nominierung des eher unbekannten Berdymuchammedow steht laut dem privaten US-Nachrichtendienst »Stratfor« mit dem »Nationalen Sicherheitsrat« das wichtigste sicherheitspolitische Gremium Turkmenistans. Nach Ansicht von Michael Hall, dem Direktor der zentralasiatischen Abteilung des US-Think-Tanks »International Crisis Group«, wäre mit der Errichtung einer »Junta« durch die Sicherheitskräfte des Landes das günstigste Szenario für den Machtübergang in Turkmenistan gegeben. Die negative Variante wäre ein Bürgerkrieg, so Hall.
In Rußland wird dieses Risiko als gering eingeschätzt. Laut Sergej Markow, dem Direktor des »Moskauer Zentrums für Politische Forschung«, fehlen Turkmenistan die Voraussetzungen für einen offenen Umsturz. »Der Machttransfer in Turkmenistan wird wahrscheinlich durch interne Machtkämpfe charakterisiert sein«, erklärte Markow.
Russische Experten dürften tatsächlich die tiefsten Einblicke in die internen Machtstrukturen des isolierten, fünf Millionen Einwohner zählenden Staates haben. Schließlich gelang es Moskau, die größten Erfolge bei der Zusammenarbeit mit Turkmenistan zu erzielen. Der überwältigende Teil der turkmenischen Gasexporte wird vom russischen Monopolisten Gasprom aufgekauft, über das russischen Pipelinenetz nach Westen transportiert und mit Gewinn in Westeuropa und der Ukraine verkauft. Dieser ökonomische Einfluß sichert Moskau laut »Stratfor« auch einen gewissen Einfluß im laufenden Machtkampf.
Bisher hat Turkmenistan kaum eine andere Option, als eng mit Rußland zu kooperieren. Die einzige internationale Pipeline des Landes verläuft über russisches Territorium. In den letzten Wochen seiner Regentschaft erwog Nijasow aber, neue Pipelines zu bauen, die bis nach Indien und China führen sollten. Westeuropäische Länder und die USA waren indes bemüht, »Turkmenbaschi«, den »Vater aller Turkmenen«, zum Bau einer Pipeline zu bewegen, die auf dem Grund des Kaspischen Meeres verlaufen und so an Rußland vorbei Erdgas in den Westen pumpen sollte. Nachdem Gasprom des Einkaufspreis für turkmenisches Gas um 50 Prozent auf 100 US-Dollar erhöhte, lehnte Nijasow die Vorschläge der Westens dankend ab.