Keine „Weiche Landung“

„Junge Welt“, 09.08.2006

US-Immobilienmarkt zeigt ernste Anzeichen einer spekulativen Überhitzung
Die Chefökonomin der kalifornischen Maklervereinigung, Leslie Appleton-Young, zeigte sich bemüht, ihr wissenschaftliches Renommee zu retten: Sie wolle in bezug auf die weitere Entwicklung des US-Immobilienmarktes nicht mehr von einer »weichen Landung« sprechen, erklärte Young gegenüber der San Diego Union-Tribune Ende Juli.
Eine »weiche Landung«, also moderate Preiskorrekturen am überhitzten US-Immobilienmarkt, wird es auch kaum geben können, denn die stürmischen Steigerungen haben längst irrationale Züge angenommen, die an die Endphase des »DotCom-Booms« mit Hightech- und Internetaktien an den Weltbörsen 1999/2000 erinnern.

Die Preisrallye auf dem amerikanischen Immobilienmarkt war atemberaubend. In den letzten fünf Jahren wuchsen sie im Landesdurchschnitt um 50 Prozent, wobei zu berücksichtigen ist, daß der Markt zweigeteilt ist: In der Provinz steht billiges Bauland praktisch unbegrenzt zur Verfügung, die Preise werden hier von den Baukosten diktiert. Der Boom konzentriert sich hingegen auf die US-Metropolen und die Küstenregionen des Landes, hier sind die Preise in fünf Jahren um satte 100 Prozent gestiegen.

Die Liquidität für diesen Bauboom ist ironischer Weise den Gegenmaßnahmen zu verdanken, die die US-amerikanische Notenbank eingeleitet hatte, um die negativen Folgen der an den Weltbörsen im Jahr 2000 geplatzten Spekulationsblase abzumildern. Der Leitzins wurde ab Mitte 2001 in den USA zeitweise auf ein Prozent gesenkt, erst ab 2004 erfolgte eine schrittweise Erhöhung inzwischen 5,25 Prozent befindet. Diese extrem expansive Geldpolitik der US-Notenbank ermöglichte eine Geldmengenerhöhung um rund 20 Prozent innerhalb von zwei Jahren. Das den Finanzmarkt überflutende »billige« Geld führte aber nicht zu einer klassischen Inflation, sondern zu der Immobilienblase, da viele US-Bürger billige Kredite aufnahmen, um Häuser zu bauen oder zu renovieren. In den USA sind solche Kredite ohne Eingenkapital des Kunden durchaus üblich, genauso wie variable Zinsen. Solange der Leitzins auf niedrigem Niveau verharrte, ging alles gut, doch derzeit liegen die Zinsen für Immobilienkredite schon bei rund sechs Prozent.

Den meisten Häuslebauern in den USA geht es aber nicht um die eigenen vier Wände, sondern um spekulative Profite. Ende Juli gab das kalifornische Ministerium für Immobilienwesen bekannt, daß es im Sonnenstaat inzwischen über 500000 offiziell angemeldete Makler gibt. Somit kommt auf 55 erwachsene Kalifornier ein Immobilienhändler. Der Volkssport Immobilienspekulation ist das Lieblingsthema auf Partys in New York oder Los Angeles. Als »Flipper« werden die Mitglieder der US-Mittelschicht bezeichnet, die ihr Erspartes in Häuser oder Wohnungen investieren, und diese nach oberflächlicher Modernisierung wieder mit Gewinn verkaufen – gleich mehrere »Reality Shows« haben sich diesem gesellschaftlichen Phänomen gewidmet.

Doch die Party scheint sich dem Ende zu nähern. Die US-Maklervereinigung geht für 2006 von einem Umsatzrückgang von 16,8 Prozent aus. Toll Brother, ein führender Baukonzern im Luxus­segment, gab bekannt, daß seine Aufträge um 33 Prozent zurückgegangen sind. Einer der wichtigsten Hypotheken- und Darlehensgeber der USA, Ameriquest, verkündete jüngst, 229 Niederlassungen zu schließen und 3500 Mitarbeiter entlassen zu wollen.

Ein Zusammenbruch des amerikanischen Immobilienmarktes könnte verheerende Folgen für die gesamte US-Ökonomie zeitigen. In der letzten Dekade gelang es den USA, eine starke Rezession zu umschiffen, obwohl viele Faktoren diese begünstigten, wie die verstärkte Automatisierung der Produktion und massive Produktionsverlagerungen ins Ausland. Die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen stieg dennoch schnell genug, um die Ausweitung der Arbeitslosigkeit im Zaum zu halten. Die Lohnabhängigen finanzierten ihren Konsum durch Schulden. Neben Kreditkartenschulden nahmen viele Mitglieder der Mittelklasse – eine Wertsteigerung ihrer Immobilien antizipierend – Hypotheken auf ihre Häuser auf, die aber nicht in deren Ausbau oder Modernisierung, sondern in prestigeträchtigen Konsum gingen. 600 Milliarden Dollar sind auf diese Art als zusätzlicher Konsum 2005 in den US-Binnenmarkt geflossen, das waren im Schnitt sieben Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens. Bei einem Platzen der Immobilienblase werden somit nicht nur im Bausektor Beschäftigte und die US-weit nach Millionen zählenden »Flipper« ihre Jobs verlieren, es wird auch zu einem dramatischen Einbruch der Nachfrage auf dem Binnenmarkt kommen, der derzeit auch einen Teil der Exportproduktion Chinas, Japans und Deutschlands aufnimmt.

Die durch billiges »fiktives« – da durch keine Wertschöpfung in realer Produktion gedecktes – Kapital ausgelöste US-Konjunktur wird eine harte Landung in der Realität erleben und aller Voraussicht nach einen Teil der Weltwirtschaft auf ihre Talfahrt mitnehmen.

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