„Junge Welt“ vom 30.11.06
Ihren 15. Jahrestag beging die »Gemeinschaft Unabhängiger Staaten« in Minsk. Es könnte ihr letzter gewesen sein
Rußlands Präsident Wladimir Putin gab sich am Dienstag abend reichlich Mühe, dem Gipfeltreffen der »Gemeinschaft Unabhängiger Staaten« (GUS) im belarussischen Minsk positive Züge abzugewinnen. So sollen laut Putin alle »führenden Repräsentanten« dieses losen Bündnisses ehemaliger Sowjetrepubliken darin übereingekommen sein, die GUS als Organisation zu erhalten. Tatsächlich kann schon der Fortbestand der GUS als Erfolg gewertet werden, da in den letzten Jahren und Monaten im postsowjetischen Raum starke Zentrifugalkräfte wirkten, die eine Wiederbelebung eines Intergationsprozesses nahezu unmöglich machen. Für wahrscheinlicher wird ein Zerfall der GUS in mehrere kleinere Bündnisse gehalten.
Keine Lösung
Die zunehmenden Spannungen zwischen den ehemaligen Teilrepubliken der Sowjetunion wurden bei den Gipfelberatungen thematisiert, doch bezeichnenderweise konnte keine der territorialen oder ökonomischen Streitfragen einer Lösung nähergebracht werden. Eine grundlegende Ursache für die Zunahme der Spannungen innerhalb der GUS stellt sicherlich die Bildung eines prowestlichen Bündnisses dar, der GUAM (Organisation für Demokratie und Entwicklung). In der GUAM haben sich die Länder zusammengeschlossen, in denen vom Westen unterstützte »bunte Revolutionen« stattfanden, wie Georgien oder die Ukraine, oder Staaten, die sich aus geopolitischen Erwägungen für eine Westorientierung entschieden, wie Aserbaidschan und Moldawien. Diesen westlich orientierten GUS-Mitgliedsstaaten standen prorussische Kräfte gegenüber, insbesondere Armenien und Belarus.
Im Rahmen des Gipfels sollte zum Beispiel eine Annäherung im Territorialkonflikt um die Region Nagorny Karabach zwischen Aserbaidschan und Armenien erreicht werden, doch nennenswerte Ergebnisse des Treffens beider Präsidenten in der russischen Botschaft in Minsk sind nicht bekannt. Zudem schaffte es Moskau, selbst seine treuesten Verbündeten im postsowjetischen Raum zu verärgern. In Armenien wird das scheinbar unzerbrechliche Bündnis mit Rußland in Frage gestellt, da in den vergangenen Monaten etliche Armenier von rasch an Schlagkraft gewinnenden russischen Faschisten umgebracht wurden. Das harte Vorgehen Rußlands gegen Georgien und die gegen die Ukraine und Moldawien verhängten Importverbote sorgten für weitere Verstimmung. Der Konflikt mit Belarus um die Festsetzung der Gaspreise könnte Rußland sogar den letzten treuen Verbündeten an der Westflanke der GUS kosten.
Drohender Handelskrieg
Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko hatte darauf gehofft, das Problem mit Putin beim Gipfel persönlich besprechen zu können. Doch am Montag hatte Gasprom seine geplante Preiserhöhung von 47 auf 200 Dollar für 1000 Kubikmeter Erdgas nochmals bekräftigt. Es droht ein Handelskrieg, denn aus Belarus verlautet, man habe die Absicht, den russischen Transit durch das Land massiv zu behindern. Zudem versucht sich der belarussische Präsident in einer Annäherung an die prowestlichen Kräfte in der Ukraine. Laut der Nachrichtenagentur RIA Nowosti bemühte sich Lukaschenko im Vorfeld des Gipfels, mit dem ukrainischen Staatschef Viktor Juschtschenko gemeinsame Positionen abzustimmen.
Russische Politikexperten sahen gegenüber RIA Nowosti einen Zerfall der GUS in zwei oder drei Bündnisse voraus. Zur einen Interessengruppe würden demnach Rußland und Kasachstan gehören. Eine weitere Gruppe könnten Belarus und die Ukraine bilden, denen sich Moldawien und Aserbaidschan anschließen würden. Mittelfristig sei die Entstehung eines neuen Staatenbündnisses zu erwarten, dessen Hauptziel in der Abwehr der russischen Gasexpansion bestünde, so RIA Nowosti.