„Junge Welt“ 07.10.06
Kasachstan: Erfolgreicher Kampf von Arbeitern in Stahlwerk und Kohleminen von Mittal Steel
Auch in Kasachstan ist Mittal Steel, der größte Stahlproduzent der Welt, die Nummer eins. Insgesamt besitzt der Megakonzern 61 Betriebe in 27 Ländern. Das kasachische Stahlwerk Karment, das zu den Flaggschiffen der Schwerindustrie des zentralasiatischen Landes gehört, kaufte der indische Tycoon Lakschmi Mittal schon 1995 für einen Spottpreis von 400 Millionen US-Dollar. Inzwischen in Mittal-Temirtau umbenannt, verfügt das ehemalige sowjetische Stahlkombinat über eine theoretische jährliche Produktionskapazität von sechs Millionen Tonnen Stahl. Allein Mittal-Temirtau steuert vier Prozent zum Bruttosozialprodukt Kasachstans bei, das Werk ist mit 55000 Beschäftigten zudem der größte private »Arbeitgeber« des Landes. An die 94 Prozent der Produktion werden exportiert, hauptsächlich nach China, Südostasien und in den Iran. 2005 bescherte das kasachische Stahlwerk Mittal Steel Einnahmen in Höhe von 1,4 Milliarden US-Dollar. Die Eisenerzreserven von Mittal-Temirtau belaufen sich auf 1,6 Milliarden Tonnen.
Unbefristeter Streik
Mittal Steel gehören in Kasachstan darüber hinaus mehrere Kohleminen, die 95 Prozent des Kohle- und Koksbedarfs des Konzerns decken sollen und in denen jährlich zwölf Millionen Tonnen Kohle gefördert werden. – Doch genau das passiert seit dem 20. September nicht mehr. An diesem Tag ereignete sich wieder einmal ein sehr schwerer Unfall in der zu Mittal Steel gehörenden Lenin-Zeche. Bei einer Methangasexplosion unter Tage starben 41 Bergmänner. Seitdem befinden sich 25000 Kumpel in acht Kohleminen in der zentralkasachischen Region Karaganda im unbefristeten Streik. Sie fordern die Erhöhung ihrer Gehälter, die derzeit bei etwa 350 US-Dollar monatlich liegen, und einen massiven Ausbau der Sicherheitsvorkehrungen. Auf Demonstrationen in der Industriestadt Schachtinsk, an denen Tausende Bergmänner teilnahmen, wurden Lohnerhöhungen auf bis zu 1000 US-Dollar gefordert.
Verdreifachte Löhne
Nachdem die Unternehmensführung die Forderungen der Kumpel wochenlang ignoriert hatte, lenkte sie nun nach einer gemeinsamen Demonstration von 6000 Bergleuten und Stahlkochern vergangenen Samstag vor der Firmenzentrale in Temirtau ein. Am Mittwoch teilte Mittal Steel mit, daß den Minenarbeitern eine Verdreifachung ihrer Löhne angeboten wurde. Die Stahlarbeiter sollen demnach ab Oktober 20 Prozent mehr Lohn und eine weitere Erhöhung um zehn Prozent ab Februar erhalten, so der Chef von Mittal Kasachstan, Narendra Choudhary bei einer Pressekonferenz. Wegen eines Streiks im Stahlwerk Temirtau war die dortige Produktion im September um rund 30 Prozent gesunken. Der Vorsitzende der kasachischen Metallarbeitergewerkschaft, Wladimir Dudnik, geht davon aus, daß die Gewerkschaft den Vorschlägen zustimmt. Die Löhne der Stahlarbeiter liegen derzeit bei rund 300 US-Dollar.
Zuvor hatte Mittal-Temirtau-Generaldirektor Nawal Choudhary noch behauptet, das rohstoffhungrige China und der Iran würden ihre Märkte für kasachischen Stahl »schließen«, wenn es zu signifikanten Lohnerhöhungen käme. Die Streikenden zeigten sich davon allerdings unbeeindruckt. Die derzeit über das kasachische Kohlerevier fegende Streikwelle ist Ausdruck der angestauten Wut der Arbeiter über ihre sich seit Jahren immer mehr verschlechternden Arbeitsbedingungen. Sie werfen Mittal Steel Lohndumping und Massenentlassungen vor. Zudem soll das Unternehmen aus Profitgier die Einhaltung von Sicherheitsstandards skandalös vernachlässigt haben. In der letzten Dekade hat der Konzern Gewerkschaftsangaben zufolge in dem zentralasiatischen Land fast 10000 qualifizierte Arbeiter entlassen. Bis 2010 sollen noch einmal so viele Stahlkocher und Kohlekumpel gehen. Oftmals werden die freigeworden Arbeitsplätze mit unqualifizierten, schlechter bezahlten Tagelöhnern besetzt, die nicht einmal 200 US-Dollar monatlich verdienen. An die zwölf Stunden dauert eine Schicht in den kasachischen Kohlegruben Mittals. Die Sicherheitstechnik stammt teilweise noch aus sowjetischen Zeiten.
Eine von Mittal Steel und der kasachischen Regierung ins Leben gerufene Sonderkommission soll nun die Ursachen des Grubenunglücks vom 20. September klären. Für jeden der unter Tage ums Leben gekommenen Bergmänner will der indische Stahlgigant eine Entschädigung von etwa 11000 US-Dollar zahlen und die Bestattungskosten übernehmen. Dieses »Angebot« hat nicht gerade zur Entspannung der Lage beigetragen.
Empfindlich getroffen
Am Montag hatte Nawal Choudhary gegenüber der Presse einräumen müssen, Mittal-Temirtau werde russische Kohle für seine Stahlwerke einzukaufen versuchen, um die streikbedingten Ausfälle zu kompensieren. Die Demonstration am Samstag gab aber offenbar den Ausschlag für das Einlenken der Unternehmensführung. Daß die Stahlarbeiter sich den Protesten der Bergleute anschlossen, ist darauf zurückzuführen, daß es auch im Werk Temirtau gravierende Sicherheitsmängel gibt. Zwei große Brände haben dort 2005 die Produktion von 5,1 Millionen Tonnen Stahl 2004 auf 4,13 Millionen 2005 sinken lassen. Am Mittwoch wollten die Metallarbeiter nach Gewerkschaftsangaben über eine vollkommene Einstellung der Produktion in Temirtau entscheiden. Dem ist die Konzernführung durch ihr Angebot nun zuvorgekommen.