„junge Welt“ vom 25.07.06
Venezuela auf der Suche nach Partnern gegen die aggressive US-Politik
Belarus ist ein vorbildliches Modell eines Sozialstaates, den wir auch aufbauen. Wir müssen die Interessen des Individuums vertreten und nicht die der hegemonialen Kapitalisten, wo auch immer sie sein sollten, in Europa oder in Lateinamerika.« Venezuelas Präsident Huga Chávez sparte nicht mit Lob für seinen Gastgeber und Kritik an der gegenwärtigen Weltordnung, als er am Sonntag abend zur ersten Staatsvisite in der belarussischen Hauptstadt Minsk einflog. Am Montag folgten offizielle Gespräche mit dem belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko.
Sieben Vereinbarungen
»Die Präsidenten diskutieren wichtige internationale Probleme und die bilaterale Kooperation beider Länder«, hieß es in einer Erklärung des Presseamtes des belarussischen Präsidenten. Insbesondere sei der Ausbau der wirtschaftlichen Kooperation von größtem Interesse für beide Seiten. Mit der Unterzeichnung einer Reihe bilateraler Abkommen soll eine »umfassende Kooperation« eingeleitet werden, wie das belarussische Außenministerium bekannt gab. Bisher erreichte der Handel zwischen Belarus und Venezuela gerade mal ein Volumen von 15,5 Millionen US-Dollar. Auf besonderes Interesse der venezolanischen Seite stößt das moderne, in russisch-belarussischer Kooperation gefertigte Luftabwehrsystem S-300, das eine ernsthafte Gefahr selbst für modernste Kampfflugzeuge darstellt.
Der politische Teil des Treffens war Ende Juni bei einer Visite von Adán Chávez, dem älteren Bruder des Präsidenten, vorbereitet worden. Bei einer Rede vor dem belarusischen Parlament regte dieser damals die Bildung einer gemeinsamen Front gegen die aggressive Politik der USA an, die er als »gemeinsamen Feind« bezeichnete; sein Vorschlag stieß bei der belarussischen Seite auf allgemeine Zustimmung. So nahm Hugo Chávez auch kein Blatt vor dem Mund, als er am Sonntag erklärte, daß er einen »Einheitspakt« mit Belarus unterzeichnen werde, da »Wir uns als Brüder fühlen.«
Lukaschenko ließ verlauten, daß beide Präsidenten identische Positionen bei vielen Aspekten internationaler Politik vertreten und für eine mulitpolare Weltordnung eintreten. Während seines 24stündigen Aufenthalts besuchte Chávez die belarussische Militärakademie und die »Stalin-Linie«, eine restaurierte Verteidigungsanlage aus dem Zweiten Weltkrieg. Beide Länder unterzeichneten sieben Vereinbarungen auf militärisch-technischem Gebiet. Details wurden nicht bekanntgegeben.
Weiterreise nach Moskau
Weitere Stationen der Auslandsreise von Chávez bilden Rußland, wo Venezuelas Präsident am Montag abend eintreffen sollte, Iran, Vietnam, Katar und Mali. Westliche Beobachter, wie der Direktor des in Washington ansässigen »Council on Hemispheric Affairs«, sehen eine Reihe von Motiven für die Reiseroute: »Chávez besucht hauptsächlich Länder, die von der Bush-Administration als Außenseiter angesehen werden. Er sucht nach Ölgeschäften und nach Unterstützung für Venezuelas Streben nach einem Sitz im UN-Sicherheitsrat. Aber er möchte auch eine gemeinsame ideologische Front gegen die USA aufbauen«, so Direktor Larry Birns gegenüber der BBC.