„Junge Welt“ vom 07.06.06
Venezuela versucht mit russischer Hilfe, die Folgen des US-Waffenembargos zu mildern
Dies ist ein historisches Ereignis, diese Waffen werden unsere Souveränität und Verteidigungsfähigkeit garantieren!« Hugo Chávez, Präsident der Bolivarischen Republik Venezuela, sparte nicht mit Superlativen, als er am vergangenen Sonntag persönlich der Ankunft von 30000 russischen AK-103 Sturmgewehren beiwohnte. Insgesamt hat Venezuela 100000 dieser modernen »Kalaschnikow«-Gewehre bestellt, um den altersschwachen Bestand der Streitkräfte des Landes zu modernisieren, deren FAL-Gewehre belgischer Produktion an die stetig wachsende Nationalgarde weitergereicht werden, die eine Stärke von über einer Million erreichen soll. Darüber hinaus befindet sich Venezuela in Verhandlungen mit der russischen Seite, die die Errichtung einer Lizenzproduktion der AK-103 im Lande zum Ziel haben.
Der Kalaschnikow-Deal ist Teil einer umfassenden Modernisierungsstrategie der venezolanischen Streitkräfte, die fieberhaft – bei wachsendem Mißtrauen der USA – von der Chávez-Administration betrieben wird. Kürzlich wurde bekannt, daß Venezuela ebenfalls 15 russische Militärhubschrauber im Wert von 200 Millionen US-Dollar beziehen wird. Daneben beunruhigte WaÂshington vor allem die Ankündigung Venezuelas, russische Su-30 und Su-35 Kampfjets zu erwerben. Näheres soll bei einer bald anstehenden Rußlandvisite Chávez‘ besprochen werden.
Mit diesem Überraschungscoup ist Venezuela bestrebt, das seit Mai von der Bush-Administration gegen das Land verhängte Waffenembargo zu umgehen. Überdies weigern sich die USA vertragswidrig, Ersatzteile für die in den 80ern erworbenen F-16 Kampfflugzeuge der Luftwaffe Venezuelas zu liefern. Chávez erklärte unlängst, daß sein Land zukünftig ohnehin keine US-amerikanischen Waffensysteme zu erwerben gedenke. Doch die amerikanische Obstruktion geht noch darüber hinaus: Die USA waren bestrebt, einen Waffendeal zwischen Spanien und Venezuela zu blockieren, der Transportflugzeuge und Schnellbote umfaßt. Erst als Ersatz für amerikanische Teile gefunden wurde, die in den Transportflugzeugen verbaut waren, konnte Spanien vom US-Veto unbehelligt mit der Abwicklung des Waffengeschäfts fortfahren.
Weitere Spannungen zwischen den USA und Venezuela lösten Berichte aus, denen zufolge venezolanisches Militär in Bolivien beim Straßenbau und anderen Aufbauprojekten aktiv ist. Die rechte Opposition Boliviens beschuldigte Chávez umgehend, in dem Land zu intervenieren und heimlich Milizen aufzubauen – Vorwürfe, die Washington dankbar übernahm.
Insgesamt will Venezuela seine Militärausgaben um 30 Prozent auf zwei Milliarden US-Dollar erhöhen, hinzu kommen die 2,2 Milliarden US-Dollar, die beim Erwerb der zehn spanischen Transportflugzeuge und acht PatrouilÂlenboote fällig werden. Damit liegen die Militärausgaben Venezuelas für 2006 immer noch am unteren Ende dessen, was lateinamerikanische Staaten für den Militärsektor ausgeben. KolumÂbien, ein enger Verbündeter der USA, investierte 2005 immerhin 6,3 Milliarden US-Dollar in sein Militär. Das Militärbudget Chiles betrug 3,8, das Mexikos 3,1 Milliarden US-Dollar.