Belarus unter Druck

„Junge Welt“ vom 19.06.06
Rußland will die politische Isolation des Nachbarn für wirtschaftliche und politische Expansionspläne nutzen. Lukaschenko weist Erpressungsversuche zurück

In der vergangenen Woche gab der russische Gasmonopolist Gasprom bekannt, bis zum Sommer die Preisverhandlungen über das an die Republik Belarus ab 2007 zu liefernde Erdgas abschließen zu wollen. Der stellvertretende Vorsitzende des Unternehmens, Alexander Rjasanow, teilte der Presse mit, daß die ersten Vertragsentwürfe, die der belarussischen Seite »zur Erwägung« vorgelegt wurden, eine Anhebung des Preises für 1000 Kubikmeter Erdgas von derzeit 46,68 US-Dollar auf 200 US-Dollar vorsehen. Laut der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti würde diese Preissteigerung ein Loch von umgerechnet über zwei Milliarden US-Dollar in den Haushalt der Republik Belarus reißen. »Es wird nicht leicht sein, eine Einigung zu erzielen. Aber wir suchen einen Kompromiß. Die belarussische Seite könnte uns einige Aktiva anbieten, zum Beispiel Beltransgas«, so Rjasanow.
Kurswechsel in Moskau?

Erstmalig äußerte sich somit ein hochrangiger Vertreter des russischen Gasmonopolisten zu den strategischen Zielen des Unternehmens in Belarus, die auf die Übernahme des staatlichen Pipelinenetzes Beltransgas abziehlen. Sollte sich der Präsident der Republik Belarus, Alexander Lukaschenko, darauf einlassen, könnten die ab 2007 anstehenden Preissteigerungen milder ausfallen. Doch selbst in diesem Fall würden die Gaspreise in Belarus geradezu explodieren, da Gasprom dann mindestens 150 US-Dollar verlangen würde.

Diese Preiserhöhungen für russisches Erdgas sind Teil eines generellen Kurswechsels der russischen Außenpolitik gegenüber dem westlichen Nachbarstaat und engen Verbündeten. Laut einem Bericht der russischen Tageszeitung Kommersant hat der russische Präsident Wladimir Putin die Regierung beauftragt, jedwede Subventionierung der Wirtschaft des Nachbarn einzustellen und unter anderem den Reexport von Energieträgern zu verbieten. Nach russischer Lesart wurde das belarussische Wirtschaftswunder der vergangenen Jahre durch subventionierte Rohstoffpreise von Rußland bezahlt. Neben dem verbilligten Erdgas bezieht Belarus auch russisches Erdöl zu 27 US-Dollar das Barrel. Bei einem belarussischen Verbrauch von 20 Milliarden Kubikmeter Erdgas jährlich und 250000 Barrel Erdöl täglich, beläuft sich – in Relation zu Weltmarktpreisen – die jährliche Summe der russischen Subventionen auf 6,6 Milliarden US-Dollar. Hinzu kommt, daß die belarussischen Ölimporte aus Rußland um etwa 100000 Barrel über dem Konsum des Landes liegen. Dieses überschüssige Öl wird in den Raffinerien des Landes weiterverarbeitet und mit Gewinn auf dem Weltmarkt verkauft.
Absage aus Minsk

Doch es geht bei den bald anstehenden Verhandlungen zwischen Gasprom und Belarus nicht nur um den schnöden Mammon. Laut Tatjana Stanowaja, der Leiterin des Analyse-Departements des Moskauer »Zentrums für politische Technologien«, will Rußland mit dem Dreh an der Preisschraube für Rohstoffe auch die Annahme einer Unionsverfassung von Lukaschenko erpressen, die den belarussischen Präsidenten weitgehend entmachten würde: »Rußland hat ein Maximal- und ein Minimalprogramm. Das Erstere sieht eine möglichst enge Integration von Belarus in den Staatenverband Rußlands vor. Es geht hierbei um die Einführung des gemeinsamen Rubel und die Annahme eines Verfassungsaktes, wonach das Amt des Oberhauptes der Union wählbar und auf der Einzelleitung beruht. Das Minimalprogramm sieht die Übernahme der Kontrolle über Beltransgas durch Gasprom vor«, so Stanowaja in einer Analyse für RIA Novosti. Einer solchen Union mit einem einzigen Machtzentrum in Moskau erteilte Lukaschenko in gewohnt deutlicher Manier eine Absage: »Belarus ist ein eigenständiges Land, es wird nie dem Staatsverband Rußlands gehören«, sagte er nach Angaben seines Pressedienstes kürzlich bei einem Treffen mit dem Gouverneur der russischen Region Altai, Alexander Karlin, in Minsk.

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