„Junge Welt“ vom 17.06.06
Parlamentswahlen in der Slowakei: Protagonisten der radikalen neoliberalen Reformen droht eine Niederlage. Doch folgt einem Regierungs- auch ein Politikwechsel?
An der slowakischen Privatisierungsfront herrscht Torschlußpanik. Der Ende April abgeschlossene Verkauf von 66 Prozent des staatlichen slowakischen Stromkonzerns Slovenské Elektrárne (SE) an die italienische Enel stellt die vorläufig letzte große Privatisierung dar, die vor den Wahlen noch durchgedrückt werden konnte. Schon Ende Februar gelang es der slowakischen Opposition, gegen die liberal-konservativen Vierparteienkoalition des rechtsliberale Christdemokraten Mikulas Dzurinda einen Privatisierungsstopp durchzusetzen, da der fortschreitende Ausverkauf des Landes inzwischen in der Bevölkerung alles andere als populär ist. Vor dem Stopp schaffte es der Flughafen Wien noch, 66 Prozent an den Flughäfen Bratislava und Kosice zu erwerben.
Abschaffung der »Flattax«
Zu verdanken hat das Land diese Atempause im großen Ausverkauf den für diesen Samstag angesetzten Parlamentswahlen und vor allem der größten Oppositionspartei, der sozialistischen Smer (Richtung) und deren charismatischem Vorsitzenden Robert Fico. Die von der westlichen Presse durchweg als »populistisch« bezeichneten Sozialisten vertreten ein klassisch sozialdemokratisches Wahlprogramm. Fico wurde nicht müde, bei zahlreichen Wahlkampfterminen das miserable Lohnniveau des Landes zu kritisieren – der durchschnittliche Monatslohn liegt bei 457 Euro – und die im Land investierenden Konzerne der hemmungslosen Bereicherung anzuklagen. Das Wahlprogramm der Smer nimmt sich nicht sonderlich radikal aus: Gefordert wird generell die Rücknahme der neoliberalen Reformen der vergangenen vier Jahre und die Wiederherstellung der »sozialen Gerechtigkeit« in der Slowakei. Im Zentrum steht die Steuerpolitik und insbesondere die Abschaffung der »Flattax« von 19 Prozent, eines Einheitssteuersatzes auf alle Lohngruppen und für alle wichtigen Steuerarten. Die Smer möchte die Wohlhabenden und Konzerne stärker besteuern, die Mehrwertsteuer auf Güter des täglichen Bedarfs und die Gebüren im Gesundheitswesen senken. Letzten Wahlumfragen zufolge können die Sozialisten auf etwa 30 Prozent der Stimmen hoffen.
Die regierende rechtsliberale Slowakische Demokratische und Christliche Union (SDKU) des Premiers Mikulas Dzurinda kann nur noch mit elf Prozent der Stimmen rechnen. Neben den offensichtlichen Widersprüchen zwischen statistischen Wirtschaftserfolgen, wie einem Wachstum von 6,1 Prozent im vergangenen Jahr, und sozialer Realität, die z.B. durch eine offizielle Arbeitslosenquote von über 15 Prozent gekennzeichnet ist, machen der Regierungsmannschaft auch unzählige Skandale zu schaffen. Von ausufernder Korruption bis zum Stimmenkauf im Parlament – die Koalition aus SDKU, Ungarischer Partei, dem liberalen »Bündnis des Neuen Bürgers« und konservativer »Christlich Demokratischer Bewegung« hat keine Gelegenheit ausgelassen, um sich beim Wähler zu blamieren. Dieser Viererkoalition werden inzwischen noch rund 35 Prozent der Wählerstimmen prognostiziert. Im Bemühen, den Abwärtstrend in der Wählergunst zu stoppen, ließ Dzurinda während der heißen Wahlkampfphase prominente Unterstützung aus dem westlichen Ausland einfliegen: Anthony Blair und Angela Merkel lobten die erfolgreichen »Reformen« der liberal-konservativen Regierung bei Kurzvisiten in Bratislava.
Schwierige Koalitionspartner
Als potentielle Koalitionspartner für die Smer kommt hauptsächlich die nationalistisch ausgerichtete »Bewegung für eine Demokratische Slowakei« (HZDS) des ehemaligen Premiers Vladimir Meciar in Frage. Wie die Smer sind die moderaten Nationalisten bemüht, die weitverbreitete Unzufriedenheit mit der sozialen Lage im Land zu katalysieren. Im Gegensatz zu Fico will Meciar aber die neoliberale »Reformpolitik« im großen und ganzen fortsetzen, weswegen der ehemals als »Rechtspopulist« verschrieene Meciar nun auch von Teilen der regierenden Koalition umworben wird. Selbst bei erfolgreicher Regierungsbildung – die Smer wird sich also äußerst schwertun, mit solchen Partnern eine sozialdemokratische Politik betreiben zu können.
Somit könnte sich die Einschätzung von Heinz Sernetz, Vorstand der österreichischen Raiffeisen Investment, als zutreffend erweisen, der angesichts eines wahrscheinlichen Regierungswechsels vor Panikmache warnte: »Auch wenn die Opposition gewinnt, geht die Privatisierung ab dem dritten oder vierten Quartal weiter«, gab er gegenüber der österreichischen Presse zu Protokoll.
Im Überblick: Das politische Spektrum in der Slowakei
* Smer (Richtung): Die größte Oppositionspartei des ehemaligen kommunistischen Funktionärs Robert Fico vertritt klar sozialdemokratische Positionen und wird laut aktueller Wahlumfragen nach den Wahlen mit der Regierungsbildung beauftragt.
* Slowakische Demokratische und Christliche Union (SDKU): Premier Mikulas Dzurindas rechtsliberale Partei gilt als die treibende Kraft bei der neoliberalen Transformation der Slowakei während der vergangenen vier Jahre.
* Christlich Demokratische Bewegung (KDH): Der Bildungsminister der erzkonservativen KDH scheiterte am Versuch, Gebühren für alle Schularten einzuführen. Daneben war die KDH bemüht, »christliche Werte« im Bildungswesen zu verbreiten.
* Partei der Ungarischen Koalition (SMK): Die SMK vertritt die ungarische Minderheit in der Slowakei, die etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht.
* Bündnis des Neuen Bürgers (ANO): Die Liberalen werden voraussichtlich nicht mehr im Parlament vertreten sein. Diese Partei stellt den Gesundheitsminister der bisherigen Koalition, der für die Privatisierung der Krankenkassen verantwortlich zeichnet.
* Freies Forum (SF): Eine rechtsliberale Abspaltung der regierenden SDKU. Die SF hofft, nicht mehr mit den Korruptionsskandalen in der Regierung identifiziert zu werden und deren neoliberale Politik in einer neuen Koalition fortsetzen zu können.
* Bewegung für eine Demokratische Slowakei (HZDS): Vladimir Meciar führte mit der nationalistischen HZDS die Slowakei am 1. Januar 1993 in die Unabhängigkeit. Im Westen wird Meciar als autoritärer Populist gebrandmarkt, da er vor 1999 auf Distanz zu NATO und EU blieb.
* Kommunistische Partei der Slowakei (KSS): Die Kommunisten konnten 2002 erstmals mit 5,8 Prozent der Stimmen ins Parlament einziehen. Letzte Umfragen sehen sie unter der Fünf-Prozent-Hürde.
* Slowakische Nationalpartei (SNS): Die radikalen slowakischen Nationalisten können auf bis zu acht Prozent der Stimmen hoffen.