„junge Welt“ vom 29.08.06
Soziale Lange in Bulgarien auch unter sozialdemokratischer Führung äußerst problematisch
Zum ersten Jahrestag der von ihnen geführten Koalition haben die bulgarischen Sozialisten der Öffentlichkeit des Landes und den internationalen Investoren eine ganz besondere Überraschung präsentiert. Petat Dimitrow, der Vorsitzende der Haushaltskommission des bulgarischen Parlaments, schlug am vergangenen Samstag vor, die Körperschaftssteuer Bulgariens auf zehn Prozent zu senken. »Eine Körperschaftssteuer von zehn Prozent würde Bulgarien nicht verletzen. Im Gegenteil, sie würde mehr Investoren anlocken«, erklärte Dimitrow gegenüber den Medien. Die aus der kommunistischen Partei Bulgarien hervorgegengenen Sozialisten sind bestrebt, in Bulgarien die niedrigsten Unternehmenssteuern Europas einzuführen. Derzeit beträgt die Körperschaftssteuer in dem zukünftigen EU-Mitgliedsstaat gerade mal 13 Prozent. Dieser Steuersatz wird lediglich noch in Irland unterboten, wo Unternehmen nur 12,5 Prozent an Körperschaftssteuer zu zahlen haben.
Steuerdumping
n letzter Zeit sind in verschiedenen Ländern Osteuropas Bestrebungen sichtbar geworden, den unheilvollen Wettlauf um die niedrigsten Unternehmenssteuersätze zu beenden. Die Regierungen der Slowakei, Sloweniens und – durch ein ausuferndes Haushaltsdefizit genötigt – auch Ungarns haben weiteren Steuersenkungen eine klare Absage erteilt und teilweise die Steuern für Wohlhabende, Unternehmen und Banken erhöht. Die Bemühungen dieser Staaten, diese abwärts verlaufende Spirale der Steuersenkungen zu überwinden, sabotieren nun die bulgarischen Sozialisten.
Das mit einem Wirtschaftswachstum von 5,5 Prozent glänzende Land, das 2007 der EU beitreten will, gilt derzeit als der eifrigste Exekutor neoliberaler Politikrezepte. Neben einem der niedrigsten Unternehmenssteuersätze verfügt Bulgarien über das niedrigste Lohnniveau in Europa. Das würde sich erst ändern, wenn das Versprechen von Ministerpräsident Sergej Stanischew, den Mindestlohn zu erhöhen, auch tatsächlich realisiert würde. Auf monatlich 180 Lewa, gerade mal 92 Euro, sollen die Mindestvergütungen angehoben werden. Der bulgarische Mindestlohn würde dann mit 90 Euro nur von dem anderen EU-Kandidaten Rumänien knapp unterboten. Die Arbeitslosigkeit konnte innerhalb von zwei Jahren von zwölf auf 9,5 reduziert werden, doch bei solchen Mindestlöhnen bleibt die Massenarmut in Bulgarien bestehen. Eine von Arbeits- und Sozialministerin Emiliya Maslarova zu Beginn der vergangenen Woche veröffentlichte Umfrage ergab, daß rund ein Drittel aller befragten Eltern ihren Kindern rät, das Land zu verlassen und sich ein Leben im Ausland aufzubauen. Bis zu einem Drittel beträgt auch der Anteil derjenigen »Arbeitnehmer«, deren Löhne so niedrig sind, daß sie außer der regulären Arbeit noch nebenberuflich Land bewirtschaften, um über genügend Lebensmittel zu verfügen.
Dennoch scheute sich Premierminister Sergej Stanischew nicht, das vergangene Regierungsjahr als erfolgreich darzustellen. Die Regierung habe eine kontinuierliche Wirtschaftspolitik eingeleitet und genieße Vertrauen sowohl bei den Bürgern des Landes als auch bei den internationalen Finanzinstitutionen wie dem Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, so der Premier bei der Vorstellung eines Rechenschaftsberichts über das erste Jahr der »großen Koalition« in Bulgarien. Neben den Sozialisten sind die konservative »Nationale Bewegung Simeon II.« und die liberale »Bewegung für Rechte und Freiheiten« in der derzeitigen bulgarischen Regierung vertreten.
Hohe Teuerungsrate
Harsche Kritik an der Selbstbeweihräucherung der Regierung übten hingegen die Gewerkschaften Bulgariens. »Die Regierung in Sofia hat ernsthafte Schwierigkeiten, ihre Wahlversprechen für einen besseren Lebensstandard und höhere Einkommen einzuhalten.«, so der Vorsitzende der Konföderation der unabhängigen Gewerkschaften Bulgariens (KNSB), Scheljasko Hristow, in einem Interview mit dem bulgarischen Rundfunk. Laut Hristow seien die Löhne in den letzten zwölf Monaten zwar leicht gestiegen, doch unter dem Strich hätten die Menschen nicht viel davon zu spüren bekommen, da diese Erhöhung hinter der Inflation zurückgeblieben sei. Im ersten Halbjahr 2006 betrug die Teuerungsrate in Bulgarien im Jahresvergleich 8,1 Prozent.
Auch in der Sozialistischen Partei Bulgariens regt sich inzwischen Widerstand gegen den neoliberalen Kurs der Parteiführung. Wenige Monate vor den für Oktober angesetzten Präsidentschaftswahlen hat sich in der Parlamentsfraktion der Sozialistischen Partei eine neue, linke politische Plattform gebildet, die sich als Korrektiv zur Politik der Parteispitze sieht. Ihr Hauptvorwurf an den Vorstand der Sozialisten mit Ministerpräsident Stanischew an der Spitze ist, daß die Partei in den letzten Jahren immer weiter nach rechts gedriftet sei und ihre Politik nicht den Erwartungen der Wählerschaft und der sozialen Basis der Partei entspreche.