Publiziert am 29.04.06 in „junge welt“
Bischkek stellt Washington Ultimatum. Opposition kündigt Massenproteste gegen Regierung an.
Der im Juli vergangenen Jahres demokratisch gewählte Präsident Kirgisiens, Kurmanbek Bakijew, gerät zunehmend unter innenpolitischen Druck. Bakijew galt bis vor kurzem als ein Musterdemokrat. Er kam in Zuge der prowestlichen ‚Tulpenrevolution‘ Kirgisiens an die Macht, die im März 2005 seinen Amtsvorgänger, Askar Akaew, aus dem Amt fegte. Doch nun sieht er sich mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert wie seinerzeit Akaew. Oppositionelle Kräfte und zivilgesellschaftliche Organisationen werfen dem einstigen Vorzeigedemokraten autoritäres Gebaren, Korruption und Misswirtschaft vor. Mit dem am 21. April zurückgetretenen Wirtschafts- und Handelsminister Almazbek Atambaew, der zugleich Chef der westlich orientierten, Sozialdemokratischen Partei des Landes ist, gewann die Opposition eine prominente Führungspersönlichkeit. Für den 29. April planen die oppositionellen Kräfte eine Großdemonstration in Bischkek, die den widerspenstigen Präsidenten vor allem zu einer Verfassungsreform zwingen soll, die seine Macht stark einschränken würde. ‚Sollte die Regierung den Forderungen der Protestierenden nicht nachgeben, werden wir ihren Rücktritt erzwingen.‘ – so der Oppositionspolitiker Temir Sarijew gegenüber der US-amerikanischen Nachrichtenagentur AP.
Die Mobilisierung der ehemaligen Kampfgefährten Bakijews erfolgt zu einem sehr sensiblen Zeitpunkt. Bischkek befindet sich in der Endphase sehr harter Verhandlungen mit den USA bezüglich des von der US-Air Force seit 2001 genutzten Luftwaffenstützpunkts Manas. Bakijews fordert ultimativ bis zum 1. Juni eine Verhundertfachung der amerikanischen Pachtzahlungen auf 200 Millionen US-Dollar jährlich, ansonsten habe die US-Armee Krigisien zu verlassen. Die USA würden somit ihren letzten Stützpunkt in Zentralasien verlieren, nachdem die US-Präsenz in Usbekistan auf Drängen der usbekischen Führung um Islam Karimow im November 2005 beendet werden musste.
Dieser offene Streit mit den USA markiert der vorläufigen Höhepunkt einer graduellen außenpolitischen Neuausrichtung des strategisch ungemein günstig zwischen Russland und China gelegenen, zentralasiatischen Staates. Bakijew kooperiert – vor allem auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik – immer offener mit Russland. Schon sei 2003 unterhält die russische Armee einen Stützpunkt in Kirgisien, doch verlangt Bischkek hierfür keinerlei Zahlungen. Bei seiner letzten Russlandvisite am 24. April – der fünften seit Amtsantritt – stimmte Krigisiens Präsident zudem einer Ausweitung der russischen Militärpräsenz in seinem Land zu, für 2006 sind gemeinsame Militärmanöver geplant. Beide Länder wollen zudem verstärkt wirtschaftlich zusammenarbeiten, die russische Seite ist besonders an Investitionen im krigisischen Energiesektor (Wasserkraftwerke) interessiert.
Die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsdiensten beider Länder soll inzwischen ebenfalls sehr gut funktionieren. Nach Meldungen der Nachrichtenagentur AIA hat der russische Geheimdienst FSB der Führungsriege um Bakijew Informationen über die westliche Finanzierung der kirgisischen Oppositionskräfte geliefert. Laut FSB sollen das US Department of State, die CIA und der exilierte russische Oligarch Boris Beresowski Parteien und NGOs in Krigisien unterstützen, die eine Neuauflage der ‚Tulepenrevolution‘ anstreben würden.