Aufguß des kalten Krieges

Publiziert in „Junge Welt“ 20.03.06
USA halten Rußlands Weg für falsch und setzen auf Verschärfung der Beziehungen

»Nahezu 15 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion steuern die Beziehungen zwischen Rußland und den Vereinigten Staaten in die falsche Richtung«. Dies ist eine der Kernaussagen eines jüngst veröffentlichten Reports des einflußreichen US-amerikanischen »Council on Foreign Relations« (Rat für Auswärtige Beziehungen – CFR). Ausgearbeitet wurde die mit »Rußlands falsche Richtung: Was die Vereinigten Staaten tun könnten und sollten« titulierte Studie von dem demokratischen Senator John Edwards und dem Republikaner Jack Kemp.

Die Autoren plädieren für eine generelle Revision der US-amerikanischen Rußland-Politik, eine strategische Partnerschaft halten sie mittelfristig für nicht realisierbar, statt dessen solle eine Politik der »selektiven Partnerschaft« und »selektiven Opposition« gegenüber Rußland zur Anwendung gelangen. Der Report verurteilt insbesondere die russische Außenpolitik im postsowjetischen Raum sowie den »scheindemokratischen Charakter« der russischen Gesellschaft. So finde in Rußland eine »Zentralisation der Macht im Kreml« und ein »Zurückdrängen des Pluralismus« statt. Die russische Energiepolitik diene laut Edwards/Kemp zur »Einschüchterung« der Nachbarstaaten Rußlands wie der Ukraine oder Georgiens, die sich aus der russischen Einflußsphäre lösen wollen. Die USA sollten deshalb im Hinblick auf die russischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2007/2008 dazu übergehen, Nichtregierungsorganisationen in Rußland massiv finanziell zu unterstützen.

Auf Kooperation zwischen Rußland und den USA hoffen die Autoren beim Vorgehen gegen die Atomprogramme Nordkoreas und Irans sowie beim Kampf gegen den Terrorismus. Sollte sich Rußland hier verweigern, müßten drakonische Sanktionen ergriffen werden. Der Report schlägt in einem solchen Fall einen Ausschluß Rußlands aus der G 8, der Gruppe der acht führenden Industrienationen, vor. Führende amerikanische Medien, wie die Washington Post, schlossen sich dieser Forderung in ihren Kommentaren an. Die antirussische Propaganda wurde am vergangenen Mittwoch intensiviert, als das US-Außenministerium ihren »Menschenrechtsreport« vorstellte und darin Rußland wiederum wegen seines »Demokratiedefizits« und schwerer Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien angriff. Das russische Außenministerium wies die Anschuldigungen entschieden zurück, es warf den USA »doppelte Standards« in der Frage der Menschenrechte vor und verwies auf Menschenrechtsverletzungen in den USA, Irak und Afghanistan.

Die Zuspitzung der Beziehungen Rußland-USA vollzieht sich vor zunehmenden Konflikten zwischen westlich orientierten und prorussischen Kräften und Staaten im postsowjetischen Raum. Die Expansion des westlichen Einflußbereichs scheint hier vorerst gestoppt: In der Ukraine könnten die westorientierten »orangen Revolutionäre« am 26. März eine Wahlniederlage gegen rußlandfreundliche Kräfte erleiden, die Wahlen in Belarus wird Lukaschenko gewinnen, in Georgien finanziert der Kreml eine prorussische Partei (Gerechtigkeit), die mittelfristig Präsident Saakaschwili – nach dem Muster der »Bunten Revolutionen« – herausfordern soll. Die amerikanische Militärpräsenz in Zentralasien steht durch russisch-chinesische Gegenmaßnahmen ebenfalls zur Disposition. So forderte Kirgistans Präsident Bakiew im Februar eine Verhundertfachung des Pachtzinses, den die US-Streitkräfte für ihre Basis in diesem Land zu entrichten haben.

Für zusätzliche Irritationen in Washington sorgte die erfolgreiche Modernisierung der russischen Topol-M- und Bulawa-Interkontinentalraketen, die nun dank besserer Manövrierbarkeit und gewisser Täuschungseinrichtungen den amerikanischen »Raketenabwehrschild« durchdringen können. Als die wirkungsvollste Waffe Moskaus wird von den USA der staatlich kontrollierte Energiesektor wahrgenommen, in Washington spricht man von einem russischen »Energieimperium«, das zukünftig ein großes »Erpressungspotential« gegenüber dem Westen aufbauen könnte. Mit Sorge und Aufmerksamkeit wurde deshalb von Washington und Brüssel der Besuch des russischen Präsidenten, Wladimir Putin, in Algerien beobachtet. Während dieser als »historisch« bezeichneten Visite am 10. und 11. März stand die russisch-algerische Kooperation im Energiesektor im Zentrum der Gespräche. Diese soll nun intensiviert werden. Russische Staatsunternehmen wie Gasprom sollen verstärkt bei der Erschließung neuer Gas- und Erdölquellen sowie beim Ausbau der Energieinfrastruktur Algeriens partizipieren. Darüber hinaus wird Rußland militärische Ausrüstung im Wert von über sieben Milliarden US-Dollar an Algerien liefern.

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