Publiziert am 18.08.2005 in „junge welt“
Ukraine: Premierministerin behindert mit ihrer Privatfehde Hoffnungen des Westens auf lukrative Geschäfte
Alexander Rahr ist ein enttäuschter Mann. Jetzt ließ er gegenüber der New York Times (NYT) seinen Gefühlen freien Lauf: In westlichen Wirtschaftskreisen wachse der Unmut über das Ausbleiben radikaler, liberaler Wirtschaftsreformen durch die neue ukrainische Führung, so der Programmdirektor des Körber-Zentrums, einer Vorfeldorganisation der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Rahr war unter den Teilnehmern einer Anfang August in Jalta abgehaltenen Konferenz, an der neben westeuropäischen und US-amerikanischen Ostexperten und Wirtschaftsvertretern die engste Beraterriege des Präsidenten der Ukraine, Viktor Juschtschenko, teilnahm. Als die treibende Kraft hinter der Konferenz, die sowohl eine erste Bilanz der »orangen Regierung« ziehen wie auch einen Ausblick auf die wirtschaftspolitischen Erfordernisse der Näheren Zukunft werfen sollte, gilt laut NYT der Oligarch und Schwiegersohn des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma, Viktor Pintschuk.
Wachstum abgeschwächt
Nicht nur die bescheidenen ökonomischen Daten bereiteten den Teilnehmern dieser illustren Runde Kopfzerbrechen: Galt die Ukraine 2004 noch mit einem Wirtschaftswachstum von 13,2 Prozent als die am schnellsten wachsende Ökonomie Europas, so betrug dieses in der ersten Jahreshälfte 2005 nur noch vier Prozent – mit fallender Tendenz. Während das ukrainische Bruttosozialprodukt im Januar 2005 um 6,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr wuchs, ist es im Juni auf 1,1 Prozent gefallen. Die Inflation soll nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf 15 Prozent geklettert sein, Ministerpräsidentin Julia Timoschenko hingegen beharrt darauf, diese auf 6,4 Prozent gedrückt zu haben. Auch die angekündigte Privatisierungskampagne kommt nicht voran. Von den 1,2 Milliarden US-Dollar, die mit Privatisierungserlösen eingenommen werden sollten, wurden bisher nur 100 Millionen erreicht.
Offener Machtkampf
Vor allem der inzwischen offen ausgetragene Machtkampf zwischen Präsident Juschtschenko und Premierministerin Julia Timoschenko treibt den westlichen Sponsoren der »orangen Revolution« die Sorgenfalten auf die Stirn. Im Zentrum der Auseinandersetzungen steht die genannte Privatisierungspolitik. Während Juschtschenko kurz nach den Wahlen erklärte, er werde keine »Hexenjagd auf jene veranstalten, die Betriebe unter dubiosen Umständen von der Vorgängerregierung erworben haben«, geht seine Regierungschefin massiv gegen die Oligarchen vor und renationalisiert betreffende Unternehmen. Für besonderes Aufsehen sorgte die Wiederverstaatlichung des profitablen Stahlkonzerns Kryvorizhstal, bei dessen Privatisierung im Juni 2004 ein Angebot von Mittal Steel und U.S. Steel über 1,5 Milliarden US-Dollar ausgeschlagen und der Zuschlag einem einheimischen Bieter erteilt worden war, der nur 800 Millionen bot. Sein Name: Viktor Pintschuk, der Schwiegersohn des damaligen Präsidenten Kutschma. Pintschuk ist nun seinen Stahlkonzern los, Timoschenko hingegen kündigte eine erneute, diesmal ordnungsgemäße Privatisierung an.
Solche Maßnahmen wecken bei westlichen Beobachtern offenbar ungute Erinnerungen. So stellte das US-Außenministerium in einer Erklärung vom 27. Juli die »Verpflichtung der neuen ukrainischen Führung zur Umsetzung von marktliberalen Reformen« infrage. Immer häufiger wird Timoschenko vom Westen angegriffen; der IWF kritisierte die durch Frau Premier durchgesetzte Erhöhung der Pensionen, Renten und Mindestlöhne um 16 bis 17 Prozent, führende westliche »Wirtschaftsexperten« machen die »unberechenbare Politik« Timoschenkos für die zurückhaltende Investitionstätigkeit westlichen Kapitals in der Ukraine verantwortlich. Offensichtlich haben große Teile der ukrainischen Oligarchie, die vor der »orangen Revolution« auf eine Kooperation mit Rußland gesetzt haben, die strategische Neuausrichtung gen Westen mitvollzogen, wie eben Viktor Pintschuk. Nur Timoschenko scheint noch alte Rechnungen begleichen zu wollen; weder Juschtschenko, noch der Westen wollen eine »saubere« Privatisierung, sonder vor allem eine schnelle.
Denn die Zeit drängt. Im März 2006 finden in der Ukraine Parlamentswahlen statt, mit denen eine Verfassungsreform einhergehen soll, die die Rechte des Präsidenten beschneiden wird. So soll der Premier nicht mehr vom Präsidenten, sondern vom Parlament ernannt werden. Timoschenko könnte sich dann, bei ausreichender Hausmacht in der Volksvertretung, der Kontrolle des Westens und dessen Alliierter in der Oligarchie gänzlich entziehen. Um dies zu verhindern, scheint man sehr weit gehen zu wollen. Erst kürzlich hieß es, die ukrainische Staatssicherheit (SBU) habe Ermittlungen im Falle eines angeblichen Mordkomplotts gegen Timoschenko aufgenommen. Nicht näher benannte diplomatische Quellen ergingen sich in der Kyiv Post in düsteren Andeutungen, wonach die Mordpläne in »Wirtschafts- und Kriminellenzirkeln ausgebrütet wurden«.
Sorge um Wählerstimmen
Bis zu den Wahlen im Frühjahr 2006 erwarten die Teilnehmer der eingangs erwähnten »Konferenz von Jalta« im übrigen keine grundlegenden »Reformschritte«. Nach Ansicht von Rahr wird die Regierung kaum die Privatisierung forcieren, da hiermit eine steigende Arbeitslosigkeit mitsamt der Zunahme sozialer Spannungen einhergehen würde und damit zum Popularitätsverlust der »orangen Revolutionäre« führen könne. Der Westen wird noch auf seine Investitionsrendite waren müssen.
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