Publiziert am 24.05.2005 in „junge welt“
Polen: Bei Wahlen im Herbst müssen Sozialdemokraten um Wiedereinzug ins Parlament bangen. Kurs auf autoritären Staat
Vier Monate vor der Parlamentswahl in Polen ist am vergangenen Sonnabend die komplette Führung der regierenden sozialdemokratischen »Vereinigung der Demokratischen Linken« (SLD) zurückgetreten. Parteichef Jozef Oleksy, seine vier Stellvertreter, der Generalsekretär und der Fraktionschef der SLD legten ihre Ämter nach einer Sitzung des Parteirats nieder. Die neue Führung der SLD soll Ende Mai gewählt werden. Mit dem Schritt wolle die Partei den Polen vor der Parlamentswahl am 25. September und der Präsidentschaftswahl am 9. Oktober ein »klares Signal« für einen Neuanfang geben, so Oleksy. Dies ist auch nötig: Die »gemäßigte Linke« wird diese Parlamentswahl nicht nur verlieren – laut Umfragen ist es fraglich, ob die SLD überhaupt die Fünf-Prozent-Hürde überwinden wird.
Sozialer Kahlschlag
Die mit einem gewaltigen Vertrauensvorschuß gewählten Sozialdemokraten, die die rechte »Wahlaktion Solidarität« (AWS) 2001 aus der Regierung und dem Sejm fegten, enttäuschten auf ganzer Linie. Zum einen setzte die SLD die neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik ihrer konservativen Vorgänger fort. Nach vier Jahren SLD-Regentschaft haben sich die sozialen Gegensätze weiter verschärft, die Mindestlöhne sind gesunken, das Gesundheitssystem liegt in Agonie, das Arbeitsrecht wurde weiter »dereguliert«, und die Arbeitslosigkeit erreicht immer neue Höchststände (aktuell 19,5 Prozent). Andererseits erschütterte eine Reihe von Korruptionsskandalen die SLD. Innerhalb von knapp vier Jahre sank die Popularität der Sozialdemokraten von 40 Prozent auf unter fünf Prozent. Mit »der Linken« assoziiert man in Polen gegenwärtig Korruption, soziale Verelendung und den »Ausverkauf Polens an ausländische Mächte«, wie die polnische »Neue Rechte« nimmermüde verkündet, die voraussichtlich die Staatsmacht übernehmen wird.
Die rechten und rechtsextremen Parteien, die den Sejm dominieren könnten, entstanden größtenteils aus der Konkursmasse der AWS, die 2001 wegen ökonomischen Dilettantismus und Korruption abgewählt wurde. Vor allem innerhalb der neoliberalen »Bürgerplattform« (PO) und der rechtskonservativen »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) tummeln sich viele ehemalige AWSler, die sich nun als moralisch integere »Saubermänner« präsentieren. Es gilt als wahrscheinlich, daß nach den Wahlen beide Parteien – die laut Umfragen zwischen 20 und 25 Prozent erreichen könnten – eine Koalition eingehen werden.
Insbesondere die PiS will eine umfassende, autoritäre Transformation der polnischen Gesellschaft durchsetzen, womit sie auch bei anderen Oppositionsparteien, wie der PO und der »Liga der Polnischen Familien« (LPR), auf Unterstützung rechnen kann. Konsens herrscht innerhalb der Rechten über die Konzentration der politischen Macht in den Händen des zukünftigen Präsidenten, der bis dato nur über eher beschränkte Befugnisse verfügt. Der Staatschef soll z. B. das Recht erhalten, unter bestimmten Bedingungen das Parlament aufzulösen oder die Ernennung von Ministern zu verweigern. Die Machtkonzentration beim Präsidenten soll mit einer Beschneidung der Kompetenzen des stark zu verkleinernden Sejm einhergehen.
Ruf nach Todesstrafe
Darüber hinaus soll das Mehrheitswahlrecht das Verhältniswahlrecht ablösen und die Hürde für den Einzug von Parteien ins Parlament auf acht Prozent steigen. Die »Law and Order«-Partei PiS strebt auch eine radikale Verschärfung des Strafrechts an – mitsamt der Einführung der Todesstrafe.
PiS und PO werden aller Voraussicht nach die Mehrheit im Sejm stellen, doch für Verfassungsänderungen bräuchten sie eine Zweidrittelmehrheit. Zur Verwirklichung ihrer Ziele wären sie somit auf einen reaktionären Partner angewiesen. Hier böte sich die rechtsextreme, klerikal-nationalistische LPR an, die inzwischen auf 16 Prozent der Stimmen hoffen kann. Zumal es zwischen PiS, LPR und PO weitgehende inhaltliche Übereinstimmungen gibt.