Harte Bandagen in Lodz

Publiziert am 18.10.2005 in „junge welt“

Angriffe auf Manager einer italienisch geführten Haushaltsgerätefabrik. Medien vermuten Vergeltung für Ausbeutung, Schikanen und tödliche Unfälle im Werk

Vor einem Jahr wurde in Lodz eine ausländische Großinvestition gefeiert, die den Menschen in dieser von hoher Arbeitslosigkeit geplagten Region wieder Hoffnung geben sollte. Der italienische Haushaltgerätehersteller Indesit entschied sich für diese mittelpolnische Stadt, um dort eine große Kühlschrankfabrik mit mehr als tausend Beschäftigten zu errichten. Selbst der damalige Präsident der Europäischen Kommision, Romano Prodi, fand sich zur Einweihungsfeier ein, um dieses Projekt als ein weiteres gelungenes Beispiel der europäischen Integration zu würdigen.

Ein Jahr später ist die anfängliche Euphorie verschwunden. Das Management der Fabrik fährt nur noch unter dem Geleitschutz einer privaten Sicherheitsfirma zur Arbeit. Die martialische, schwarz gekleidete Leibgarde wurde notwendig, nachdem zwei Manager von Unbekannten zusammengeschlagen worden waren. Die Auseinandersetzungen eskalierten weiter und erreichten ihren vorläufigen Höhepunkt, als eine Führungskraft am Samstag von maskierten Männern überfallen und mit einem Rasiermesser schwer im Gesicht verletzt wurde. Dieser Angriff ereignete sich einen Tag vor der Beerdigung eines 20jährigen Arbeiters, der Anfang September bei einem Unfall im Indesit-Werk zu Tode kam.

Von offizieller Seite sind die vermuteten Gründe für die Übergriffe nicht zu erfahren. Weder bei der Staatlichen Arbeitsinspektion (PIP), noch bei der Gewerkschaft Solidarnosc seien Beschwerden von Arbeitern der Indesit-Fabrik eingegangen, hieß es. Da derlei Beschwerden nicht anonym eingebracht werden können und die offizielle Arbeitslosigkeit in der Region an die 20 Prozent beträgt, scheint die Angst vor dem Jobverlust das Schweigen der Belegschaft zu erklären.Über Internetforen und dank zahlreicher Medienkontakte seitens der Indesit-Belegschaft sickerten dennoch Einzelheiten über den Arbeitsalltag im Werk sowie die Ursachen des Todes des Arbeiters durch.

So sollen die Versuche der Belegschaft, eine Gewerkschaftsorganisation im Betrieb zu gründen, durch massive Entlassungen vereitelt worden sein. Das Management erhöhe die Arbeitszeiten bis an das Maß des Erträglichen, ohne diese Mehrarbeit zu vergüten. Die Intensität der Arbeit nehme durch immer weiter hochgeschraubte Normen zu, und die Löhne würden sukzessive gesenkt, so einige der die lokalen Zeitungsspalten und Internetforen füllenden Klagen. Beleidigungen, herrisches Auftreten des Managements und Schikanen sollen im Werk an der Tagesordnung sein. Der beim jüngsten Angriff verletzte Manager trägt innerhalb der Belegschaft den Spitznamen »SS-Mann«, das Werk wir in Internetforen zumeist als »Arbeitslager« bezeichnet. Dem vorläufigen Ermittlungsstand der Staatsanwaltschaft zufolge sind zwecks Produktivitätssteigerung alle Sicherungsmechanismen in den Maschinen entfernt worden, was mittelbar zum Tode des Arbeiters führte, der von einer Presse zerquetscht worden sein soll.

Einer legalen Möglichkeit zur Interessensvertretung beraubt, scheinen die Arbeiter sich der in Polen noch immer präsenten Tradition der Konspiration zu erinnern. Diese wird nun offenbar mit den erweiterten Kommunikationsmöglichkeiten des Internets fortgeführt. Er habe schreckliche Angst um sein Wohlergehnen, teilte ein namentlich nicht genannter Manager der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza mit. Er stehe »ganz oben« auf einer »Abschußliste«, die von Arbeitern des Werks erstellt worden sei und nun im Internet kursiere.
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