Die Verödung schreitet voran

Publiziert am 09.04.2005 in der „jungen welt“

Workshop »Ostdeutschlandforschung« der IG Metall: Keine Chance auf Überwindung der Massenarbeitslosigkeit

Burkart Lutz vom Zentrum für Sozialforschung Halle sieht für die Zukunft der neuen Bundesländer schwarz. Lutz diskutierte am Freitag im Haus der IG Metall zusammen mit Vertretern aus Wissenschaft, Politik und Gewerkschaften den derzeitigen Stand der »Ostdeutschlandforschung«. In mehreren Vorträgen und Diskussionsrunden wurde unter anderem über den »Entwicklungstypus Ostdeutschland« und die »Arbeitsgesellschaft ohne Arbeit« referiert und debattiert.

Auf Nachfrage von junge Welt konkretisierte Lutz, die Problemfelder der ostdeutschen Gesellschaft: Insbesondere die steigende Massenarbeitslosigkeit könne mit den herkömmlichen politischen und administrativen Maßnahmen nicht überwunden werden. Es gebe im Osten sehr viele junge, gut ausgebildete Kräfte, die nicht in die Arbeitswelt integriert seien, diese Menschen hätten teilweise noch keinerlei Arbeitserfahrung sammeln können, so Lutz. Darüber hinaus werde der Bevölkerungsschwund in Ostdeutschland zu einer demographischen Ausdünnung bestimmter Regionen führen. Das könnte dort die soziale Versorgung verteuern oder unmöglich machen.

Herbert Buscher vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle sah dagegen keinen Anlaß zum übertriebenen Pessimismus. Zwar sei die Arbeitslosigkeit nach wie vor sehr hoch, doch könne der Dienstleistungssektor – insbesondere der Tourismus – ausgebaut werden. Darüber hinaus biete die Überalterung Ostdeutschlands auch die Chance, für die »rüstigen Rentner« – so Buscher wörtlich – eine Pflege- und Unterhaltungsindustrie zu schaffen. Dem widersprach der Jenaer Soziologe Rudi Schmidt, da nur industrienahe Dienstleistungen eine hohe Wertschöpfung generieren würden und die Fokussierung auf den Tourismus nur wenige Arbeitsplätze und Steuereinnahmen erbringe.

Gegenüber jW beklagte Schmidt zudem die ideologische Verengung des wissenschaftlichen Diskurses, da inzwischen nur noch neoliberale Theorien in der Wirtschaftsforschung akzeptiert würden und keynesianische Ansätze durchweg marginalisiert seien. Selbst bei optimaler Konjunkturentwicklung sieht der Jenaer Soziologe die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland erst in zehn Jahren halbiert.

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