Kein Sieg für Nabucco

„Junge Welt“, 20.05.2009
Russisch-italienischer Konter: Trotz Brüsseler Offensive bleibt Rennen um Belieferung der EU mit Erdgas aus Mittelasien offen

Die geopolitischen Auseinandersetzungen um den Zugang zu den Energieträgern Zentralasiens und des Mittleren Ostens gewinnen an Intensität. So gaben sich Brüsseler Diplomaten im Vorfeld des am 7. Mai in Prag abgehaltenen »Ostgipfels« der EU alle Mühe, russische Bedenken zu zerstreuen. Auf dem Gipfel wurde ein komplexes Maßnahmenpaket verabschiedet, das die postsowjetischen Republiken Armenien, Georgien, Aserbaidschan, Ukraine, Moldawien und Belorußland enger an die Europäische Union binden soll. Außenminister Sergej Lawrow formulierte auf einer Pressekonferenz im Anschluß an eine Sitzung des Ständigen Rates für die Partnerschaft Rußland – EU vorsichtig: »Wir haben eine Erklärung Brüssels darüber gehört, daß dies kein Versuch sei, einen neuen Einflußbereich zu schaffen, und kein Prozeß sei, der gegen Rußland gerichtet ist. Wir wollen diesen Zusicherungen Glauben schenken.«

Nur einen Tag nach dem Ostgipfel dürfte Moskaus oberster Außenpolitiker von seinem Glauben abgefallen sein. An diesem 8. Mai trafen sich – ebenfalls in der tschechischen Hauptstadt – Regierungsvertreter u.a. aus Aserbaidschan, der Türkei, Georgien, Turkmenistan und Kasachstan mit europäischen Diplomaten. Diese außerplanmäßige Runde schmiedete ein klar gegen Rußland gerichtetes energiepolitisches Bündnis. Im Rahmen eines »südlichen Gaskorridors« sollen die genannten Staaten für eine langfristige und zuverlässige Belieferung der von Brüssel forcierten Nabucco-Pipeline gewonnen werden, die Erdgas an Rußland vorbei nach Europa befördern soll. Schneller und brutaler hätte man die Russische Föderation nicht auf das klare machtpolitische Kalkül hinter der Ost-Partnerschaftsinitiative der EU hinweisen können.

Tatsächlich konnte der scheidende tschechische Premier und EU-Ratspräsident Mirek Topolanek zum Abschluß seiner krisengeschüttelten Amtszeit eine Übereinkunft vorweisen, bei der sich Aserbaidschan, Ägypten, Geor­gien und die Türkei mit Brüssel darauf verständigten, die europäische Gasversorgung künftig »unabhängiger« von Rußland zu gestalten. Topolanek nannte diese Absprache einen »historischen Schritt«, da es zuvor eine solche Erklärung nicht gegeben habe. Dennoch wurden in Prag viele Streitpunkte, wie die Frage der Transitgebühren, ausgeklammert. Auch konnten verbindliche Verpflichtungen auf die Errichtung des südlichen Korridors nicht erzielt werden. »Wir haben begonnen, mit ihnen über mögliche Lieferungen zu sprechen«, umschrieb Topolanek den Stillstand bei den Verhandlungen.

Interessanter ist, daß die wichtigsten Gasförderländer Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan die Vereinbarung von Prag nicht signierten. Trotz aller von Brüssel verbreiteten Zuversicht konnten immer noch keine ausreichend verbindlichen Zusagen für die »Beschickung« der 3300 Kilometer langen und etwa neun Milliarden Euro teuren Gasleitung erreicht werden. Die Transportkapazität Nabuccos soll bei 31 Milliarden Kubikmeter Erdgas jährlich liegen, doch hierfür gibt es keine ausreichenden Lieferzusagen, und es kamen auch während des Gipfeltreffens keine dazu.

Trotz dieses partiellen Rückschlags in Prag scheint die EU bei anderen Problemfeldern rund um das Nabucco-Projekt voranzukommen. Unbestätigten Berichten des britischen Guardian zufolge soll die Türkei bereit sein, auf ihre wichtigste Forderung zu verzichten. Bisher bestand Ankara darauf, 15 Prozent des im Transit befindlichen Gases aus Pipeline zu stark verbilligten Preisen für den Eigenverbrauch abzuzweigen. Dies galt als wichtigster Stolpersteine für das Energieprojekt.

Zugleich fuhr die EU ihre Fühler auch in Richtung Bagdad aus, um insbesondere die Lieferung kurdischen Erdgases aus dem Nordirak für Nabucco zu sichern. Auch hier konnte Brüssel nur einen halben Sieg einfahren. Ein irakischer Regierungssprecher erklärte am 18. Mai, daß die Belieferung der Leitung aus dem kurdischen Nordirak nicht in Frage komme. Allerdings könne eine Lieferung aus dem Akkas-Gasfeldern in der Nähe Syriens in Erwägung gezogen werden, hieß es. Allerdings soll diese Lagerstätte bereits ab 2014 erschöpft sein. Irak reagierte damit auf eine Initiative der Energiekonzerne OMV und MOL, die am Sonntag das Projekt einer Pipeline präsentierten, die Erdgas aus dem kurdischen Autonomiegebiet Iraks an Nabucco liefern sollte. Die österreichische OMV und die ungarische Mol sind Teil des Nabucco-Konsortiums.

Inzwischen erhöht Rußland wieder den Einsatz im Pipelinepoker. Am Sonnabend kam Ministerpräsident Wladimir Putin mit seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan zusammen, um die »Kooperation beider Staaten zu intensivieren«. Das Treffen gilt vor allem der Vorbereitung bald einsetzender Verhandlungen über die Lieferung russischer Energieträger an die Türkei, die über die am Boden des Schwarzen Meeres verlaufende »Blue Stream«-Leitung befördert werden. Die bisherigen Liefervereinbarungen laufen 2011 aus. Nach Ansicht von Beobachtern bemüht sich der Kreml, die Türkei von einer Teilnahme an der Nabucco-Pipeline vermittels großzügiger energiepolitischer Kooperationsangebote abzuhalten.

Doch den wichtigsten Coup landete der russische Gasmonopolist Gasprom in Kooperation mit seinem italienischen Partnerkonzern ENI am vergangenen Wochenende. Da erklärten beide Unternehmen, die Kapazität der von ihnen geplanten »South-Stream«-Pipeline verdoppeln zu wollen. Diese Gasleitung soll von Südrußland aus ebenfalls auf dem Grund des schwarzen Meeres bis zur bulgarischen Küste verlaufen, um hier nach Italien und Westeuropa beliefern zu können. Bis zu 63 Milliarden Kubikmeter Erdgas wollen ENI und Gasprom nach Fertigstellung ab 2015 in die EU befördern. Somit wurde offenbar, daß es dem Kreml längst gelungen ist, die ohnehin brüchige Einheit der EU in Fragen der Energiepolitik zu unterminieren. Italien gehört zu den EU-Staaten, die eine antirussische Ausrichtung europäischer Machtpolitik aus energiepolitischem Kalkül ablehnen.

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