Kontrastprogramm in Vilnius?

„Junge Welt“, 15.05.2009
In Litauen wird am Sonntag neues Staatsoberhaupt gewählt

Am kommenden Sonntag sind die Bürger Litauens aufgerufen, ein neues Staatsoberhaupt zu wählen. Sollte keiner der sieben Kandidaten eine absolute Mehrheit erreichen, fände am 7. Juni – zeitgleich mit dem Votum zum Europaparlament – eine Stichwahl zwischen den zwei bestplazierten Bewerbern statt. Valdas Adamkus, der scheidende Präsident Litauens, darf nach seiner zweiten fünfjährigen Amtszeit nicht mehr antreten. Das litauische Staatsoberhaupt verfügt laut Verfassung des 3,3 Millionen Einwohner zählenden Landes über erhebliche Machtmittel. Dazu zählen ein Mitspracherecht bei der Ausgestaltung der Außenpolitik, den Oberbefehl über die Streitkräfte und die Möglichkeit, Gesetzgebungsverfahren mittels eines Vetos zu blockieren.

Die besten Aussichten darauf, Adamkus zu beerben, hat Dalia Grybauskaite, die vor kurzem noch als EU-Kommissarin für Finanzen und Haushalt tätig war. Sollte die vom litauischen Premier Andrius Kubilius öffentlich unterstützte Grybauskaite tatsächlich die Präsidentschaft erringen, so wäre sie die erste Frau in diesem Amt. Nennenswerte Chancen haben am kommenden Sonntag noch der Vorsitzende der litauischen Sozialdemokraten, Algirdas Butkevicius, wie auch der ehemalige Ministerpräsident Kazimira Prunskiene. Allerdings könnte laut neuesten Wahlumfragen die erfahrene EU-Politikerin Grybauskait sogar mehr als 50 Prozent aller Stimmen im ersten Wahlgang auf sich vereinigen und so das Rennen ums Präsidentenamt für sich entscheiden.

Grybauskaite war seit ihrem 1993 erfolgten Eintritt ins litauische Außenministerium maßgeblich an der Integration der südlichsten baltischen Republik in die Europäische Union beteiligt. Die 53jährige Politikerin agierte 1994 und 1995 als Chefunterhändlerin während der Ausarbeitung des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Litauen, das einen wichtigen Meilenstein bei der ökonomischen Einbindung des Baltenstaates in den europäischen Binnenmarkt bildete. Es folgte eine Tätigkeit als Botschafterin in Washington bis 1999. Bevor sie als EU-Kommissarin tätig wurde, bekleidete Grybauskait zwischen 2001 und 2004 den Posten der litauischen Finanzministerin.

Bei dieser Spitzenkandidatin handelt es sich zweifelsohne um eine Frau Brüssels, was im Kontrast zu ihrem Amtsvorgänger auf einen gewissen Paradigmenwechsel in der geopolitischen Ausrichtung Litauens hindeuten dürfte. Denn das scheidende Staatsoberhaupt, Valdas Adamkus, war ohne Frage ein Mann Washingtons – er hat schließlich unter Präsident Ronald Reagan seinen politischen Durchbruch als Regionalbeauftragter innerhalb der US-amerikanischen Umweltbehörde (EPA) erlebt. Adamkus wurde 1985 von Reagan der Distinguished Execu­tive Presidential Rank Award verliehen, dies ist die höchste US-Auszeichnung für Zivilbeamte. Seine US-amerikanische Staatsbürgerschaft hatte der 1944 gemeinsam mit der Wehrmacht aus Litauen geflohene Adamkus erst 1998 – kurz vor seiner ersten Wahl zum Präsidenten – in der amerikanischen Botschaft in Vilnius abgelegt. Zuvor waren juristische Vorbehalte gegen die Wahl dieses jahrelang im Dienste eines anderen Staates tätigen Kandidaten von litauischen Gerichten abgewiesen worden. Binnen seiner zwei Amtsperioden half der ehemalige US-Regierungsmitarbeiter dabei, »Litauen als ein strikt prowestliches und antirussisches Land zu positionieren«, wie es die Nachrichtenagentur dpa formulierte.

Daß die litauische Legislative bei Kontakten ihrer obersten Staatsdiener zu ausländischen Mächten nicht immer solche Kulanz an den Tag legt, erfuhr Rolandas Paksas, nachdem er im Januar 2003 bei einer Stichwahl Adamkus aus dem Präsidentenamt verdrängen konnte. Kurz nach seinem Amtsantritt wurden dem neuen Staatsoberhaupt versuchte Schutzgelderpressung und Kontakte zur russischen Mafia vorgeworfen. Zum Verhängnis wurde Paksas aber ein von ihm erlassenes Präsidialdekret, mittels dessen er seinem wichtigsten Finanzier, dem russischen »Geschäftsmann« Juri Borisow, die litauische Staatsbürgerschaft verlieh. Bereit im April 2004 war der aus der litauischen Nomenklatura hervorgegangene Paksas seinen Job im Zuge eines Amtsenthebungsverfahrens wieder los. Adamkus konnte die folgende Neuwahl ohne finanzstarke Gegenspieler erneut für sich entscheiden.

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