„Junge Welt“, 14.05.2009
Vom Bankrott bedrohter EU-Staat bekommt 20 Milliarden Euro von IWF und EU. Präsident Basescu warnt vor sozialen Folgen der rigiden Auflagen
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat in Osteuropa derzeit alle Hände voll zu tun. Mit Rumänien mußte bereits das sechste Land der Region umfassende Notkredite des IWF in Anspruch nehmen, um einen drohenden Staatsbankrott zu vermeiden. Daneben haben schon Lettland, Serbien, Ungarn, Ukraine und Belarus auf die – während des Weltfinanzgipfels in London am 2. April massiv aufgestockten – Mittel der Finanzorganisation zurückgreifen müssen. Wie inzwischen in Osteuropa üblich, gehen die IWF-Kredite mit zusätzlichen Finanzspritzen einher. Nachdem die Euro-Staaten am vergangenen Montag ein Kreditpaket in Höhe von 12,95 Milliarden Euro für Rumänien geschnürt hatten, stimmte die EU am Donnerstags einem Darlehen über weitere fünf Milliarden Euro zu. Jeweils eine Milliarde Euro kommen von der Weltbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung.
Geld nach Kontrolle
Diese Kreditzusagen über insgesamt 20 Millarden Euro sind auch im Fall Rumäniens an strikte wirtschafts- und sozialpolitische Vorgaben gebunden. Diese wurden dem Staat sowohl vom IWF als auch von der EU aufgenötigt. Ähnlich wie im Fall der Ukraine zahlt der Währungsfonds Rumänien vorerst nur eine erste Kredittranche im Umfang von 4,9 Milliarden Euro aus. Weitere Überweisungen macht der IWF von zufriedenstellenden Ergebnissen einer quartalsweisen Überprüfung der Staatsfinanzen abhängig. Bukarest wurde – entgegen den Lippenbekenntnissen zu einer Reform des IWF – in neoliberaler Tradition ein striktes Sparprogramm auferlegt, dessen Kern umfassende Haushaltskürzungen bilden. Das »schockierende« Wachstum der Löhne im öffentlichen Dienst müsse gezügelt, die »komplexe« Rentengesetzgebung vereinfacht werden, hieß es in Erklärungen des Währungsfonds.
Auch die EU forderte Bukarest auf, das Haushaltsdefizit ausgerechnet während der Krise vermittels Ausgabensenkungen zu begrenzen. Die von Brüssel zur Verfügung gestellten Gelder stammen aus einem am Dienstag von den europäischen Finanzministern auf 50 Milliarden Euro erweiterten Nothilfe-Fonds, der den EU-Ländern zur Verfügung steht, die noch nicht zum Euro-Raum gehören. Die mit den IWF-Krediten einhergehenden Verpflichtungen sehen eine Senkung des Haushaltsdefizits von 4,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 2008 auf 4,6 Prozent in diesem Jahr vor. Bis 2011 soll Rumänien sein Haushaltsdefizit auf drei Prozent des BIP reduzieren. Dennoch besteht EU-Wirtschaftskommissar JoaquÃn Almunia darauf, in diesem Jahr gegen etliche »Defizitsünder« ein Verfahren einzuleiten. Neben Malta, Polen, Litauen und Lettland befindet sich auch Rumänien auf der Abschußliste.
Präsident Traian Basescu kritisierte jüngst das Vorgehen Almunias als »exzessiv«, da Rumänien ohnehin Probleme haben werde, die bereits eingegangenen Haushaltsverpflichtungen einzuhalten. »Das Ausüben von Druck auf den Staatshaushalt führt nirgendwohin«, so Basescu. »Wenn die Regierung angesichts sozialen Drucks nicht stark genug ist«, so Basescu, könne »die Lawine nicht mehr länger aufgehalten werden«. Einen Vorgeschmack des sozialen Drucks, der bald auf der rumänische Regierung lasten dürfte, erhielt diese am Dienstag vergangener Woche. Da traten etwa 60000 Angestellte des öffentlichen Dienstes in einen eintägigen Streik. Sie forderten eine Erhöhung ihrer »schockierend« gewachsenen Löhne, die in Wahrheit kaum für das tägliche Überleben reichen.
Hoch verschuldet
Rumänien hat seine schuldenfinanzierte Konjunktur lange hinter sich. Der wirtschaftliche Aufschwung war dank der großzügigen Kreditvergabe westlicher Banken ermöglicht worden, die den Finanzmarkt des Landes längst unter sich aufgeteilt hatten. Diese Kredite wurden zumeist für den Konsum westlicher Waren genutzt, gekauft bei von Westkonzernen dominierten Einzelhandelsketten. Das trug ursächlich zur Herausbildung des rumänischen Leistungsbilanzdefizits von zeitweise bis zu 13 Prozent des BIP bei.
Mit der Kapitalflucht, die im Zuge der Wirtschaftskrise einsetzte, brach dieses schuldenfinanzierte Perpetuum Mobile zusammen, wie Jeffrey Franks, der Chef der rumänischen IWF-Vertretung, erläuterte: »Das Wachstum ging von durchschnittlich neun Prozent in den ersten drei Quartalen 2008 in einen Rückgang von 13 Prozent im vierten Quartal über.« Dies sei der schärfste Einbruch innerhalb der »aufstrebenden Märkte«, beklagte Franks. Auch in diesem Jahr setzte sich dieser Abwärtstrend im ersten Quartal fort, in dem die Industrieproduktion um 16 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum sank. EU-Schätzungen zufolge wird die Wirtschaft in Rumänien in diesem Jahr um vier Prozent schrumpfen und im Jahr 2010 stagnieren.
Der Einbruch der Industrieproduktion geht auch an der wichtigen rumänischen Automobilproduktion nicht spurlos vorbei, die 8,5 Prozent des rumänischen BIP generiert. Trotz der deutschen »Abwrackprämie«, die insbesondere Herstellern preisgünstiger PKW zusätzliche Umsätze bescherte, mußte die Renault-Tochter Dacia bereits 920 Zeitarbeiter entlassen und die Produktion von 1360 auf 1200 Autos täglich reduzieren. Und in der Zuliefererbranche sind bereits Tausende Arbeitsplätze gestrichen worden.
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