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„Junge Welt“, 11.12.2008
Ukraine: Präsident Juschtschenko und Ministerpräsidentin Timoschenko einigen sich auf die Neuauflage einer Koalition

Die seit Mitte September in der Ukraine schwelende, politische Krise scheint vorerst beigelegt. Der »Block Julia Timoschenko« (BJT) und die Präsidentenpartei »Unsere Ukraine – Selbstverteidigung des Volkes« (UU-SV) kamen am Dienstag darin überein, gemeinsam mit dem zentristischen »Block Litwin« eine neue Koalition zu formen. In das seit nahezu einen Monat unbesetzte Amt des ukrainischen Parlamentspräsidenten wurde am 9. Dezember Wladimir Litwin von der neuen Koalition gewählt. Litwin, der im Umfeld des ehemaligen Präsidenten Leonid Kutschma in den 90er Jahren Karriere machte, hatte diesen Posten bereits zwischen 2002 und 2006 inne.

Somit finden sich – bereichert durch den »Block Litwin« – die Parteien von Ministerpräsidentin Julia Timoschenko und Präsident Viktor Juschtschenko erneut in einer Regierungskoalition wieder. Der angesichts der für Anfang 2010 geplanten Präsidentschaftswahl tobende Machtkampf zwischen Juschtschenko und Timoschenko eskalierte Anfang September, als die Regierungchefin in einem Coup gemeinsam mit der oppositionellen »Partei der Regionen« eine Reihe von Gesetzen durchs Parlament peitschte, welche die Machtfülle des Präsidenten ernsthaft beschnitten. Zudem ging Timoschenko auf Distanz zur antirussischen Rhetorik Juschtschenkos, der Moskau für die Eskalation im Georgien-Konflikt verantwortlich machte.

Die Präsidentenpartei vollzog daraufhin am 4. September den Koalitionsbruch, doch blieb Timoschenko mitsamt der gesamten Ministerriege vorerst kommissarisch im Amt. Die sich im September anschließenden Kolitionsverhandlungen zwischen der Partei der Regionen und dem BJT blieben erfolglos, so daß Timoschenko ihre taktische Annäherung an die als »rußlandfreundlich« geltende Opposition langsam aufgab. Am 2. Oktober bereits beteiligte sich der BJT nicht an der Überstimmung des präsidialen Vetos, das gegen die von ihm mitbeschlossene Einschränkung der präsidialen Vollmachten gerichtet war. So konnte Juschtschenko seine Machtfülle per Veto wiederherstellen.

Der Präsident ging nun in die Offensive. Er rief am 9. Oktober für Dezember geplante Neuwahlen aus und setzte so Timoschenko unter Druck, die unbedingt Premier bleiben wollte. Diese revanchierte sich Mitte November mit der Absetzung des Parlamentspräsidenten Arsenij Jazenjuk, der als ein vertrauter Juschtschenkos gilt – und der nun durch Litwin ersetzt wurde. Jazenjuk hatte ein sogenanntes Antikrisenpaket, dessen Verabschiedung als die wichtigste Voraussetzung für einen dringend benötigte IWF-Kredit galt, nach der Verabschiedung durch das Parlament (Rada) gefälscht. Die Rada hat das vom IWF geforderte »Einfrieren« aller Sozialleistungen verworfen, doch in der endgültigen, von Juschtschenko unterschriebenen Fassung des Gesetztespakets fand sich genau diese IWF-Vorgabe wieder.

Alle folgenden Versuche, einen neuen Parlamentspräsidenten zu wählen, scheiterten. Erste Anzeichen einer erneuten Annäherung zwischen den orangen Kräften gab es erst am 1. Dezember. An diesem Tag ließ Jusch­tschenko verkünden, daß es vorerst, angesichts der Wirtschaftskrise, keine Neuwahlen geben werde. Der Präsident, dessen Partei bei eventuellen Neuwahlen massive Stimmenverluste hinnehmen müßte, fürchtet einen erneuten Wahlgang sicherlich noch mehr als Timoschenko.

Die erneut geformte orange Koalition dürfte trotz einer etwas deutlicheren Mehrheit von 247 der insgesamt 450 Parlamentssitze kaum stabiler als die Vorgängerregierung sein. Der Antagonismus zwischen Timoschenko und Juschtschenko bildet weiter die bestimmende Triebfeder der politischen Dynamik innerhalb des prowestlichen Lagers.

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