Keine Party in Ungarn

„Junge Welt“, 02.12.2008
Sozialkürzungen, Jobabbau und eine Regierung am IWF-Gängelband: Das von westlichen Banken auf Kredit inszenierte Konsumwunder an der Donau gerät zum Desaster

Brüssel und Budapest sind am Ziel ihrer mehrjährigen Anstrengungen angelangt. Anfang November konnte der ungarische Finanzminister János Veres stolz verkünden, das ungarische Haushaltsdefizit für 2009 dank massiven Einsparungen und Sozialkürzungen auf 2,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gedrückt zu haben. Mit Massenentlassungen im öffentlichen Dienst, Streichungen von Zuzahlungen für Energieträger und weiterem Abbau im – ohnehin desolaten – Gesundheitswesen kam die sozialdemokratische Regierung Gyurcsány den Weisungen der EU-Bürokratie nach. Diese, und die einheimische Bourgeoisie, wollen Ungarn möglichst bald für einen Beitritt zur Eurozone »fit machen«. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, daß das kleine Land gerade zu jenem Zeitpunkt »euroreif« gemacht wurde, als die Krise alle anderen zwang, den vielbeschworenen »Stabilitätspakt« aufzuweichen. Derzeit ist es aus deutscher, französischer und Brüsseler Sicht durchaus erlaubt, die jährliche Neuverschuldung über die sonst als Grenze gedachte Drei-Prozent-Hürde (des BIP) zu hieven.

Angesichts immer neuer Hiobsbotschaften ist es fraglich, ob die von Finanzminister Veres angepeilte Neuverschuldung von 773,34 Milliarden Forint (etwa drei Milliarden Euro) 2009 überhaupt Bestand haben wird. Selbst der Minister geht inzwischen davon aus, daß die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise in Ungarn 2009 eine Rezession auslösen werden. So geht der Haushaltsentwurf von einem schrumpfenden BIP aus. Das hatte 2007 ein Volumen von umgerechnet 138 Milliarden US-Dollar (Vergleich BRD: 3,3 Billionen Dollar). Damit rangierte der kleine Staat im weltweiten Vergleich auf Platz 50. Um einen ganzen Prozentpunkt soll das nun sinken. Das reale Lohnniveau soll sogar um 2,7 Prozent; der Inlandskonsum um 3,1 Prozent zurückgehen.

Dabei taumelt das Land bereits jetzt am Abgrund. Ungarn stand vor dem Staatsbankrott, bis der Internationale Währungsfonds (IWF), die EU und die Weltbank am 29. Oktober ein Kreditpaket von umgerechnet 25,1 Milliarden US-Dollar bereitstellten und das Land vorerst stabilisierten.

Zuvor waren die Kurse an der Budapester Börse zusammengebrochen. Die nationale Währung Forint wertete dramatisch ab, ungarische Staatsanleihen verloren so stark an Wert, daß sie zeitweise nicht handelbar waren. Im Oktober war es sogar schwierig, wegen des Wertverlustes von 15 Prozent innerhalb weniger Wochen in ungarischen Wechselstuben Forint gegen Dollar oder Euro umzutauschen. Mit einer fast verzweifelten Maßnahme hob die ungarische Notenbank den Leitzins auf 11,5 Prozent an, um den Abwärtstrend zu stoppen.

Die Verwerfungen in Ungarn haben ihre Ursachen im Status des Landes als Dienstleister für die wirtschaftlich mächtigen Staaten der EU. Der eigenen ökonomischen Kapazitäten weitgehend beraubt, ist Ungarn verlängerte Werkbank und Tummelplatz überwiegend ausländischer Banken. Als diese mit der Verschärfung der Finanzkrise ihr Kapital abzogen, stand das Land faktisch ohne funktionierendes Bankensystem da, was die weitere Kreditvergabe betrifft. Ungarn ist hoch verschuldet. Allein der Staat steht mit 65 Prozent des BIP in der Kreide – eine der Ursachen für den zeitweisen Zusammenbruch des Marktes für ungarische Staatsanleihen.

Schlimmer wirkt die private Verschuldung. Die liegt zwar »nur« bei 60 Prozent des BIP, allerdings in Devisen. Die Aufnahme von Krediten in Franken, Euro oder Dollar wurde von den ungarischen Tochtergesellschaften westeuropäischer Bankenkonzerne gefördert, da hier die Zinsen erheblich niedriger ausfielen. Doch nun verteuern sich diese Kredite für die Ungarn, und deren Tilgung gestaltet sich immer schwieriger. Für die Banken steigt somit das Ausfallrisiko – was inzwischen zum Stopp von Devisenkrediten geführt hat. Betroffen sind österreichische Geldhäuser, die sich Südosteuropa als eine Art neue Kolonie aufgebaut haben. Aber auch deutsche Geldinstitute wie die angeschlagenen BayernLB sind hier zugange.

Die aufgebaute Kredit- und Hypothekenpyramide war bislang die wichtigste Triebfeder der ungarischen »Konjunktur«. Diese war hauptsächlich durch Konsum und Baugewerbe befeuert worden. Von diesen Darlehen profitierten wiederum westeuropäische Konzerne, die diese derart finanzierte Massennachfrage abschöpften. Besonders »Exportweltmeister Deutschland« ist hier hervorzuheben. Für dessen Konzerne war die osteuropäische Peripherie nicht nur Lieferant billiger Arbeitskräfte, sondern auch wichtiger Absatzmarkt. Die Länder Ostmitteleuropas und Osteuropas haben im ersten Halbjahr 2008 für 84 Milliarden Euro deutsche Waren aufgenommen. Diese Region ist somit für die deutsche Exportwirtschaft inzwischen wichtiger als die USA (59,2 Milliarden Euro) oder China (30 Milliarden Euro).

Somit fließt das von westlichen Großbanken geliehene Geld wieder in den Westen. Übrig bleiben in Osteuropa nur der erstandene Elektroschrott, auf Raten erworbene, viel zu große Autos, unzählige Immobilienruinen – und natürlich die Kredite mit variablen Zinsen, die dekadenlang abgestottert werden müssen. Ironischerweise konnte Ungarn erst vor kurzem erstmals seit vielen Jahren wieder eine ausgeglichene Handelsbilanz melden.

Nach dieser Party auf Pump folgt nun der Kater: Ungarns Regierung machte selbstverständlich sofort klar, daß angesichts der Krise und des Milliardenkredits von IWF und EU auch 2009 Ausgabenkürzungen die höchste Priorität genießen werden.

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