„Junge Welt“, 29.11.2008
Parlamentswahlen in Rumänien am Sonntag. Katastrophale Wirtschaftslage avanciert zum zentralen Thema
Rumäniens Sozialdemokraten (Partidul Social Democrat – PSD) blicken zuversichtlich in die Zukunft. Die größte Partei des etwa 21 Millionen Einwohner zählenden südosteuropäischen Landes sieht sich bereits als Siegerin der für Parlamentswahlen am Sonntag. Laut der aktuellsten Meinungsumfragen liegen die – derzeit oppositionellen – Sozialdemokraten bei etwa 35 Prozent, ihr stärkster Konkurrent, die Liberaldemokraten (Partidul Democrat Liberal – PDL) bei 30 Prozent.
Die ansteigenden Umfrageergebnisse verdankt die PSD der rasch fortschreitenden Weltwirtschaftskrise, in deren Folge das neoliberale Musterland ernsten Turbulenzen ausgesetzt ist. Für diese machen die Sozialdemokraten die wirtschaftsliberale Politik der Regierung von Premier Calin Popescu verantwortlich. »Gemäßigt linke Parteien sind besser in der Lage, mit sozialem Druck umzugehen«, meinte Parteichef Mircea Geoana und stieß damit offenbar auf Gehör bei den Wählern. Seine aus der Kommunistischen Partei hervorgegangene PSD, die seit 1989 insgesamt acht Jahre in der Opposition verbrachte, kann auf eine in der Bevölkerung stark verbreitete sozialistische Nostalgie zählen. »Ich werde für die Sozialdemokraten stimmen, so daß die Kommunisten zurückkommen und uns Arbeit und Häuser geben«, so eine Arbeiterin gegenüber der Nachrichtenagentur AP. Derartige Hoffnungen wird die PSD allerdings enttäuschen. Immerhin jedoch versprechen die Sozialdemokraten ein Konjunkturprogramm, das Steuererleichterungen für Geringverdiener und Kleinbetriebe ebenso beinhaltet wie eine stärkere steuerliche Belastung der Spitzeneinkommen.
Das PSD-Konzept verfängt, was die Regierungsparteien deutlich zu spüren bekommen. Die an der Spitze der Minderheitsregierung stehende konservative Nationalliberale Partei (Partidul National Liberal – PNL) kann auf gerade 20 Prozent Stimmanteil hoffen. Sie führte im Rahmen der 2007 zerbrochenen Regierungsallianz »Wahrheit und Gerechtigkeit« eine Reihe neoliberaler Reformen durch, die vor allem darauf abzielten, ausländische Investitionen anzulocken. Von besonderer symbolischer Bedeutung war hierbei die Einführung einer sogenannten Flat-Tax – ein einheitlicher Unternehmens- und Einkommenssteuersatz von mageren 16 Prozent.
Doch das Wirtschaftswachstum, das während der vergangenen drei Jahren bei durchschnittlich nahezu acht Prozent lag, beruhte vor allem auf dem Massenkonsum, der eine rasant zunehmende Privatverschuldung folgte: Sie nahm um schwindelerregende 50 Prozent jährlich zu und wäre ohne die Geldüberweisungen von nahezu zwei Millionen Rumänen, die in Italien und Spanien sich als Tagelöhner verdingen, noch höher ausgefallen. Das Land sieht sich nun mit 58 Milliarden Euro Auslandsschulden und einem Leistungsbilanzdefizit von 14 Prozent des Bruttosozialprodukts konfrontiert. Es kam bereits zu ersten Massenentlassungen.
Angesichts der angespannten wirtschaftlichen Lage wirken die vollmundigen Versprechungen aller größeren Parteien, die wahlweise steigende Löhne, Renten und Sozialausgaben beinhalten, gänzlich irreal. Folglich macht sich eine allgemeine Politikverdrossenheit breit. Neuesten Prognosen zufolge könnte die Wahlbeteiligung auf einen historischen Tiefstand fallen.