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„Junge Welt“, 15.08.2008
Vereinfachung des Steuersystems auf ungarisch: Unternehmer werden entlastet, Beschäftigte zahlen mehr. Regierung erhält Wunschliste »unabhängiger Wirtschaftsberater«

Die ungarische Regierung will das Steuerrecht umstrukturieren. Am Dienstag waren ihr dazu Vorschläge von »unabhängigen Experten und Beratungsunternehmen« unterbreitet worden. An deren Ausarbeitung waren die vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Beratungsunternehmen beteiligt, die für gewöhnlich die mächtigsten, international agierenden Konzerne zu ihren Kunden zählen. Die »großen Vier« der Wirtschaftsberaterbranche – Deloitte, Ernst and Young, KPMG und PricewaterhouseCoopers – legten der sozialdemokratischen Minderheitsregierung von Premier Ferenc Gyurcsány ein detailliertes Steuerkonzept vor, dessen Grundzüge ab 2009 umgesetzt werden sollen.

Etwa 1200 Milliarden Forint (ca. fünf Milliarden Euro) an Steuergeschenken sehen die umfangreichen Reformvorschläge vor, die unter anderen von der ungarischen Nationalen Assoziation der Arbeitgeber sowie der Amerikanischen Handelskammer unterstützt werden. Insgesamt sollen sich die Steuerentlastungen auf 2500 Milliarden Forint belaufen, die durch steuerliche Mehrbelastungen in Höhe von 1 300 Milliarden Forint und Verringerung der Staatsausgaben finanziert werden sollen. Auf diese Weise würden sich die Steuerausfälle der öffentlichen Hand – nach Berechnungen aus der Wirtschaft – ab 2009 auf bis zu 2,5 Prozent des Bruttosozialprodukts (BSP) Ungarns summieren. Das ungarische Finanzministerium erklärte, die Steuerausfälle würden sogar auf vier Prozent des BSP steigen.

Die Unternehmensberater stellen eine Modifizierung der beiden ungarischen Lohnsteuersätze ins Zentrum ihrer Vorschläge. Der niedrige Steuersatz von 18 Prozent soll auf 20 Prozent angehoben worden, der höhere von 36 auf 30 Prozent sinken. Hinzu kommt, daß eine jüngst auf Spitzeneinkommen über sechs Millionen Forint (ein Euro zirka 235 Forint) erhobene vierprozentige »Solidaritätssteuer« nach dem Willen der Spitzenverdiener in den Unternehmerverbänden wieder abgeschafft werden soll. Ungarns Unternehmer wünschen sich überdies eine durchschnittliche Senkung der Unternehmensbesteuerung um zehn Prozent. So sollen die Dividendensteuer von 25 auf 20 Prozent abgesenkt und die kommunale Unternehmenssteuer gänzlich abgeschafft werden.

Im Gegenzug plädieren die Unternehmensberater und ihre Auftraggeber in der Wirtschaft dafür, die steuerliche Freistellung bei den Mindestlöhnen abzuschaffen. Zur Gegenfinanzierung sei auch eine Anhebung der Mehrwertsteuer von 20 auf 23 Prozent denkbar, erklärten Sprecher der an der Ausarbeitung dieser Reformvorschläge beteiligten Beratungsunternehmen. Schließlich schlugen die Macher der Studie eine Anhebung der monatlichen Beiträge zur Krankenversicherung von 1950 Forint auf stolze 8000 Forint (ca. 35 Euro) vor.

Sprecher der sozialdemokratischen Regierung Gyurcsány, die aufgrund gescheiterter, unpopulärer Reformvorhaben im Gesundheitswesen bereits einen Koalitionsbruch hinter sich hat und unter niedrigen Umfragewerten leidet, zeigten sich vorsichtig optimistisch. Aus dem Finanzministerium hieß es am Dienstag nachmittag, zur Umsetzung dieser Vorschläge seien Einschnitte bei den Sozialausgaben unabdingbar. Ungarns offizielle Kassenwarte bezeichneten die Vorschläge als »Hilfe« bei der Ausarbeitung der für das kommende Jahr geplanten Steuerreform. Man sei auf »gleicher Linie« bei etlichen Aspekten, wie der »Vereinfachung des Steuersystems« und der »Absenkung der Steuerlast der Arbeitgeber«, erklärten Ministeriumssprecher gegenüber der Presse.

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