Neuwahlen oder Referendum?

„Junge Welt“, 17.03.2008
Polens Opposition stellt sich in Sachen Neuauflage der EU-Verfassung quer

Der EU-Reformvertrag sorgt wieder einmal für politische Turbulenzen in Warschau. Die bereits bei Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden abgelehnte EU-Verfassung wurde in leicht abgeänderter Form bei dem Lissaboner EU-Gipfel vom 13. Dezember 2007 offiziell reanimiert und muß nun durch alle Mitgliedsländer der Europäischen Union ratifiziert werden. Als Konsequenz aus dem Scheitern der ersten EU-Verfassung sollten künftig Referenden über das Vertragswerk vermieden werden. Im Fall von Polen scheint dieses allerdings nur schwer realisierbar, da die konservative Oppositionspartei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) um den ehemaligen Regierungschef Jaroslaw Kaczynski überraschend ihre Zustimmung zum Reformvertrag zurückzog.

Dabei waren es Jaroslaw und sein Zwillingsbruder, Präsident Lech Kaczynski, die 2007 nach langwierigen und äußerst harten Auseinandersetzungen mit Deutschland das zur Abstimmung stehende Kompromißpapier als politischen Erfolg zu verkaufen suchten. Die Auseinandersetzungen mit der europäischen Hegemonialmacht BRD entzündeten sich damals vor allem am künftigen Abstimmungsmodus im EU-Ministerrat, der Berlin massiv bevorzugen wird. Die Kaczynskis konnten schließlich marginale Zugeständnisse durchsetzen. Doch sehen sie diese nunmehr durch die Politik der regierenden rechtsliberalen Bürgerplattform PO gefährdet.

So beschuldigt Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski den derzeitigen polnischen Premier Donald Tusk, die Bestimmungen des EU-Vertrags aufgrund deutschen Drucks aufzuweichen. Er werde dagegen kämpfen, daß Polen zu einem »Regierungsbezirk Brüssels« verkomme. Konkret äußerten die Konservativen die Befürchtung, daß die PO der im Vertrag festgeschriebenen Grundrechtecharta doch noch zustimmen könnte. Dadurch wären dann laut der PiS nicht nur die »katholischen Werte« Polens bedroht, die Charta würde vor allem deutsche Umsiedler dazu ermuntern, Eigentumsansprüche gegenüber Polen geltend zu machen. Ferner müsse laut Kaczynski in einer Präambel des Vertrags, der eine Kompetenzausweitung etlicher EU-Institutionen vorsieht, festgeschrieben werden, daß Polen ein »souveräner Staat« bliebe. Die polnische Verfassung müsse in jedem Fall anderslautendes EU-Recht brechen.

Das polnische Parlament, der Sejm, müßte mit zwei Dritteln aller Stimmen der Neuauflage der antidemokratischen und militaristischen EU-Verfassung zustimmen. Dieses ist ohne die PiS nicht möglich. Regierungschef Tusk drohte nun mit vorgezogenen Neuwahlen. Die proeuropäische sozialdemokratische Partei »Linke und Demokraten« (LiD) schlug hingegen ein Referendum über das Vertragswerk vor, sollte sich im Sejm kein Mehrheit hierfür finden. Während des gesamten Wochenendes fanden etliche Anläufe statt, um einen Kompromiß zwischen Regierung und konservativer Opposition zu finden. Eine Annäherung wurde bisher nicht erreicht. Die PiS erklärte, daß sie »weder Neuwahlen noch ein Referendum« fürchte.

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