Papst vs. Bannon

Telepolis, 19.10.2018

Mächtige Fraktionen innerhalb des katholischen Klerus kämpfen um den künftigen Kurs der Kirche. Papst unter Beschuss reaktionärer Kräfte

Anfangs schien es einer jener unzähligen Pädophilie- und Sexskandale zu sein, die den Klerus der katholischen Kirche immer wieder erschüttern. Theodore McCarrick, der ehemalige Erzbischof von Washington, habe dem Papst seinen „Rücktritt aus dem Kardinalskollegium angeboten“, meldeten katholische MedienEnde Juli 2018. McCarrick hat das Erzbistum Washington 2001 bis 2006 geleitet. Zwischen 1970 und 1990 soll er angehende Priesteramtskandidaten zu sexuellen Handlungen verführt und mindestens zwei Minderjährige sexuell missbraucht haben. Der Papst nahm das Gesuch McCarricks an.

Doch diesmal findet sich auch das Oberhaupt der Katholischen Kirche, Papst Franziskus, im Fokus der Anschuldigungen – die mitten aus der katholischen Kirche lanciert werden. Mitte August 2018 veröffentlichte der konservative Erzbischof Carlo Maria Viganò, ehemals der Topdiplomat des Vatikans in den USA, einen umfassenden Brandbrief, der die unzähligen, derzeit ans Licht kommt Pädophilen- und Sexskandale mit dem liberalen kirchenpolitischen Kurs des derzeitigen Pontifex in Zusammenhang brachte. In dem öffentlichen Brief beschuldigte Viganò eine „homosexuelle Strömung“ in der Kirche, die für die unzähligen Missbrauchsfälle Minderjähriger durch den katholischen Klerus verantwortlich sei.Damit machte der Kardinal die Sichtweise der erzkonservativen, rechten Opposition in der Kirche evident: Nicht das Zölibat mit seinem Zwang zur Triebunterdrückung, sondern die Homosexualität sei die Ursache von Kindesmissbrauch durch Priester. Der Papst, der die katholische Rechte durch seine Weigerung empörte, Schwule zu verurteilen, wird so verantwortlich gemacht für den Missbrauch in der Kirche. Viganò ist bemüht, in dem Schreiben die beiden großen Tendenzen in einen kausalen Zusammenhang zu bringen, die derzeit die katholische Kirche erschüttern: Die – für katholische Verhältnisse – liberale Kirchenpolitik des Papstes und den massenhaften sexuellen Missbrauch im und durch den katholischen Klerus.

Da ein Großteil der Skandale sich vor der Amtszeit von Franziskus abspielte, mussten die reaktionären Kreise im Vatikan lange nach einem konkreten Vorwand suchen, um den derzeitigen Pontifex mit dem Missbrauchsfällen der vergangenen Dekaden in Verbindung zu bringen, deren Aufarbeitung – etwa in den USA – erst am Anfang steht. Sie fanden ihn im besagten ehemaligen Erzbischof von Washington. Laut Viganò war es gerade Papst Franziskus, der den Skandal um Theodore McCarrick zu vertuschen versucht habe. Der Brandbrief des reaktionären Traditionalisten Viganò gipfelte in der Forderung nach dem Rücktritt des Papstes, was nicht nur einen fundamentalen Verstoß gegen die traditionelle katholische Dogmatik darstellt, sondern auch die Perspektive eines innerkatholisches Schismas offenlegt.

Machtkämpfe im Vatikan sind eigentlich nichts Neues, urteilte die New York Times, doch blieben diese Auseinandersetzungen für gewöhnlich der Öffentlichkeit verborgen hinter den Mauern des Vatikans. Die derzeitige Schlacht werde aber in einer ungewöhnlich offenen und brutalen Art und Weise geführt. Viganò ist seit der Veröffentlichung seines Brandbriefes von der Bildfläche verschwunden, er soll sich an einem „geheimen Ort außerhalb Italiens“ verstecken, da er um seine „Sicherheit fürchte“, hieß es in Medienberichten.

Innerkirchliche Machtarithmetik

Die Weigerung des Papstes, seine Kritiker zum Schweigen zu bringen und in dieser Angelegenheit eindeutig Stellung zu beziehen, würde die Auseinandersetzung noch anheizen, so der Tenor erster Einschätzungen. Die Strategie des Schweigens des Papstes, der umgehend erklärte, den Brandbrief nicht mit einer Antwort zu würdigen, sei „nach hinten losgegangen“, so etwa „The Daily Beast“ in einem Hintergrundbericht, da es kein „eindeutiges Dementi“ der Anschuldigungen Viganòs gebe. Das öffentliche Bild in dieser Affäre ist klar: Der Papst, der als großer „Erneuerer“ der Kirche angetreten ist, schweigt – wie seine konservativen Vorgänger – zu der Vertuschung von sexuellem Missbrauch durch katholische Würdenträger.

Das Schweigen des Papstes ist aber vor allem der innerkirchlichen Machtarithmetik geschuldet, die der Verfasser des Brandbriefs sehr geschickt auszunutzen versuchte. Viganòs behauptet, dass der Vorgänger von Franziskus, der konservative deutsche Papst Benedikt XVI., McCarrick mit einer Strafe belegt habe, die dann von Franziskus, nachdem er auf den Heiligen Stuhl nachrückte, aufgehoben worden sei. McCarrick sei gar zu einem Berater von Franziskus aufgestiegen, da er dessen fortschrittliche Ideen teile.

Sollte der Papst nun öffentlich erklären, die Anschuldigungen Viganòs seien nicht wahr, würde dies seinen Amtsvorgänger diskreditieren, der sich ja noch bester Gesundheit erfreut. Letztendlich handelt es sich bei dem Schreiben um eine indirekte Aufforderung an Benedikt, den Konflikt zu suchen, seinem Amtsnachfolger öffentlich zu widersprechen, um so den Kampf um den Heiligen Stuhl offen auszutragen. Die strategische Zielsetzung der reaktionären Opposition gegen Franziskus besteht somit darin, eine öffentliche Konfrontation zwischen Franziskus und seinen Vorgänger Benedikt XVI. zu entfachen, um den derzeitigen Papst zum Rücktritt zu nötigen.

Auf den Trump gekommen

Viganò gilt als verbittert, da er eigentlich hoffte, in den Kardinalsrang aufzusteigen. Stattdessen wurde er zum päpstlichen Botschafter in den USA ernannt – was er als Abschiebung empfand und mit einer direkten erfolglosen Intervention beim Papst beantwortete. Die Jahre, die Viganòs ab 2012 als Apostolischer Nuntius in den USA verbringen musste, nutzte er, um Kontakte zu einflussreichen reaktionären Kreisen in der skandalgeplagten katholischen Kirche der Vereinigten Staaten aufzubauen.

Diese umfassend mit dem rechten Rand der Republikaner verwobenen Seilschaften gruppieren sich um den erzkonservativen Kardinal Raymond Leo Burke, der vom Papst Franziskus schon 2014 in seiner Machtstellung massiv beschnitten wurde. Burke, der zuvor als der einflussreichste US-Amerikaner im Vatikan galt, hat den Papst wiederholt wegen seiner toleranten Aussagen zu Schwulen und Lesben öffentlich kritisiert. Der „ranghöchste konservative Kritiker“ (Newsweek) des Papstes, der unter Benedikt Vorsitzender des höchsten Gerichts des Vatikans war, muss sich nun mit dem zeremoniellen Posten des Kardinalpatrons des Souveränen Malteserordens zufriedengeben.

Viganò und Burke, die alten, konservativen Männer, die sich übergangen fühlten beim großen Stühlerücken um den Heiligen Stuhl, sind somit eingebettet in ein weitverzweigtes rechtes Netzwerk, das bis in die Alt-Right-Bewegung im politischen Umfeld von US-Präsident Trump reicht. Schon 2014 sind Burke und Steve Bannon in Kontakt getreten, der damals Chef des rechtspopulistischen Nachrichtenportals Breitbart war. Trumps katholischer „Chefstratege“ und der schärfste Kritiker des Papstes hätten Wege eruiert, wie die katholische Rechte auf den „barmherzigen Kurs“ reagieren solle, der vom „kommunistischen Führer“ der Kirche verfolgt werde, berichtete die Times of London.

Es ist nicht nur die päpstliche Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten oder geschiedenen Katholiken, die die katholische Rechte in Aufruhr versetzt, sondern auch dessen radikale Kapitalismuskritik, die sich schon in dem 2013 veröffentlichten Evangelii Gaudium findet. Wenn das Oberhaupt der katholischen Kirche den Kapitalismus als „unerträglich“ bezeichnet, dann müssen Heerscharen von rechten Lohnschreibern Überstunden schieben, um diese Kritik irgendwie zu entschärfen.

Die Kontakte zwischen dem rechtspopulistischen Wahlstrategen Bannon und der katholischen Rechten resultierten nicht nur in den zunehmenden Angriffen gegen den Papst, sie nehmen nun auch konkrete institutionelle Formen an. Das Institut Dignitatis Humanae, eine von Burke geleitete ultrarechte Kaderschmiede, hat jüngst in einem südöstlich von Rom gelegenen, mittelalterlichen Klosterkomplex ein Schulungszentrum eröffnet, in dem Geistliche und katholische Politiker auf den rechten Glauben eingeschworen werden sollen. Organisiert werden die Indoktrinationskurse durch Steve Bannon, der gemeinsam mit Burke den Kampf gegen den „Marxisten auf dem Papstthron“ in der Kirche intensivieren wollen.

Kirchenkampf und politische Polarisierung

Auch nördlich der Alpen gingen die Vertreter der klerikalen Rechten in die öffentliche Offensive gegen den Papst. Gegenüber dem CSU-nahen „Schwarzfunk“, dem bayerischen Politmagazin „Monitor“, beschwerte sich der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, bitterlich über die Personalpolitik und den Reformeifer des Papstes. Der ehemalige Chef der Nachfolgeorganisation der Heiligen Inquisition beklagte bei Franziskus „gewisse Vorurteile gegen die Kurie“, die mit dem „Herkunftsland“ des Papstes in Zusammenhang stehen könnten. Einer der Vorgänger Müllers im Amt des Kardinalpräfekten der Glaubenskongregation war Joseph Kardinal Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI. Müllers Nachfolger, Luis Kardinal Ladaria, gehört hingegen der Societas Jesu an.

Der eskalierende Kirchenkampf zwischen reaktionären und fortschrittlichen, genuin antikapitalistischen Kräften in der Kirche ist Teil der allgemeinen, krisenbedingten Polarisierung in den spätkapitalistischen Gesellschaften, wie es etwa beim letzten Katholikentag offensichtlich wurde, als Auftritte von AfD-Politikern zu Protesten und Demonstrationen führten. Den erzreaktionären Thinktanks, die vom ehemaligen Berater des rechtspopulistischen US-Präsidenten geleitet werden, steht etwa die Seligsprechung des Salvadorianers Oscar Romero gegenüber, der von einer massenmörderischen, US-gestützten Militärjunta 1980 umgebracht wurde, weil er sich in der Tradition der Befreiungstheologie gegen die brutale Ausbeutung und Unterdrückung in dem mittelamerikanischen Land engagierte

Insbesondere die Societas Jesu, der auch der derzeitige Papst angehört, weist eine lange, bis in die Reduktionen der frühen Neuzeit zurückreichende Geschichte des sozialen Engagements auf, bei dem im Rahmen von Missionstätigkeiten dezidiert nichtkapitalistische Formen gesellschaftlicher Reproduktion geschaffen wurden. Bei den jesuitischen Reduktionen, die im Lateinamerika des 17. und 18. errichtet wurden, handelte es sich de facto um – von Jesuiten paternalistisch geführte – Indianerstaaten auf dem Gebiet des heutigen Paraguay, Uruguay und Brasilien, in denen Privateigentum an Produktionsmitteln und Geld verboten waren. Das ökonomisch ungemein erfolgreiche Sozialexperiment, in dem bis zu 100.000 Indios organisiert waren, wurde von den Kolonialmächten Spanien und Portugal in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Blut ertränkt.

Die Auseinandersetzung zwischen einer reaktionären, mit der Macht und dem Bestehenden kollabierenden Kirche, und einer progressiven Strömung innerhalb der Gläubigen ist auch für progressive Atheisten nicht ohne Belang – vor allem angesichts der rasch voranschreitenden Faschisierung der spätkapitalistischen Gesellschaften und der damit einhergehenden Notwendigkeit des Aufbaus breiter, antifaschistisch-demokratischer Bündnisse. Es handelt sich nicht um einen bloßen Kampf um die Auslegung religiöser, archaisch anmutender Dogmen, sondern um einen Moment der gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzungen, die angesichts der eskalierenden Systemkrise an Schärfe gewinnen – und die faschistische Gefahr aufkommen lassen.

Während Bannon in rechtskatholischen Denkfabriken gegen den Papst agitiert, spricht sich dieser beispielsweise bei seiner jüngsten Visite im Baltikum gegen Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus aus – also genau dort, wo alljährlich Märsche von Veteranen der Waffen-SS organisiert werden, die als Anziehungspunkt für alte und neue Nazis dienen.

Und es war auch Thomas Sternberg, der jeglicher linksradikalen Umtriebe unverdächtige Präsident des Zentralrates der Katholiken in Deutschland, der einen klaren, unmissverständlichen Aufruf zum Widerstand gegen die in den Faschismus abdriftende AfD veröffentlichte, indem er deren „Parallelen zu Nationalsozialismus“ offen benannte:

„Ich rufe zum übergreifenden Widerstand aller freiheitlich-demokratischen Kräfte auf. Es muss unmissverständlich deutlich werden: So etwas geht in diesem Land nicht, so etwas wählen wir nicht, so etwas wollen wir nicht.“

Thomas Sternberg

Im Endeffekt ist dies ein Aufruf zur Bildung einer breiten antifaschistischen Front, der eigentlich von progressiven, linken Kräften ausgehen müsste – um wenigstens noch das zivilisatorische Minimum angesichts der drohenden Barbarei zu verteidigen.

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