Japan wankt wieder

„Junge Welt“, 01.02.2008
Zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt vor Rezession. Goldman-Sachs-Studie sieht das Ende der seit 2002 anhaltenden Boomphase

Das Platzen der gewaltigen Spekulationsblase auf dem US-Immobilienmarkt scheint die erste asiatische Volkswirtschaft in Mitleidenschaft zu ziehen. Ökonomen der Investmentbank Goldman Sachs erwarten, daß sich eine der längsten Wachstumsperioden der japanischen Geschichte ihrem Ende nähert. In einem Anfang der Woche in New York vorgestellten Report sehen die Ökonomen die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt bereits in einer Rezession – also in einer Phase, in der das Bruttoinlandsprodukt schrumpft.

Tetsufumi Yamakawa, Chefökonom der japanischen Niederlassung von Goldman Sachs, konstatierte in den ersten Wochen 2008 einen rapiden Abfall der Industrieproduktion des Landes, nachdem diese sich noch im vierten Quartal 2007 auf einem Höchststand befunden hatte. Auch beim privaten Konsum und in der Baubranche ging es offenbar steil abwärts. Es sind aber vor allem die Exporte, die zu den Rezessionsängsten in Nippon maßgeblich beitragen. Die »abkühlende Nachfrage« in den USA (wo die japanische Wirtschaft die Hälfte ihrer Ausfuhren absetzt) drohe nun auch Asien zu erreichen, meldete der Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg diese Woche. Japans Ausfuhren verzeichneten gegen Jahresende 2007 den langsamsten Zuwach seit 2005. Das Wachstum der Exporte nach China belief sich nur noch auf die Hälfte der Rate des Vorjahres und das Auslandsgeschäft mit den USA war in den letzten vier Monaten des vergangenen Jahres durchweg rückläufig.

Regierung optimistisch

Im Goldman-Sachs-Report heißt es zusammenfassend: »Es ist sehr wahrscheinlich, daß die ökonomische Expansion, die über 70 Monate seit 2002 andauerte, zu einem Ende kommt und die Wirtschaft nun in eine Rezession eintritt.« Ähnlich äußert sich Yuji Shimanka, Ökonom der größten japanischen Bank Mitsubishi UFJ Financial Group: »Im Januar 2008 sind wir praktisch in einer Rezession«. Die japanische Regierung übt sich derweil noch in Optimismus und prophezeit ein Wirtschaftswachstum von 1,3 Prozent bis Dezember.

Die zwischen den 90er Jahren und 2002 kriselnde japanische Volkswirtschaft verdankte die ungewöhnlich lange Konjunkturperiode ohnehin externen Faktoren. Es war vor allen das stürmische chinesische Wachstum, das die Japaner ins Schlepptau nahm. Vom Maschinenbau bis zur Konsumelektronik, das boomende Reich der Mitte sorgte für einen langanhaltenden Nachfrageschub in Japan. China ist inzwischen zweitgrößter Handelspartner – gleich nach den USA.

In der einseitigen Orientierung auf Ausfuhren ist Japan durchaus dem »Weltmeister« auf diesem Gebiet, der BRD, ähnlich. Der erkauft bekanntlich seine jährlich steigenden Exporte mit Reallohnverlusten seiner Beschäftigten und Sozialdumping – also dem Abwürgen der Binnennachfrage. Doch gerade diese aggressive Außenhandelsstrategie macht die beiden Volkswirtschaften besonders anfällig. Auch in Japan wird der private Konsum den Nachfragerückgang nicht kompensieren können. Der Goldman-Sachs-Report spricht statt dessen sogar von einem regelrechten »Einbruch« der Binnennachfrage.

Der monetäre Spielraum der japanischen Notenbank ist zudem denkbar knapp bemessen. Nach einem jahrelangen Kampf gegen deflationäre Tendenzen (sinkendes Preisniveau bei Waren und Dienstleistungen) liegt der Leitzins bei minimalen 0,5 Prozent. Dagegen bekommen Japans Konsumenten die ersten inflationären Schübe bereits zu spüren. Trotzdem rechnen Analysten damit, daß die Notenbank im Landd der aufgehenden Sonne die Leitzinsen bald noch weiter senken wird. Überdies sorgen neue Regelungen im Immobi­lienrecht für einen Rückgang der Bautätigkeit. Doch hier könnte die japanische Regierung sogar das kleinere Übel gewählt haben, denn mit einer überhitzten Baukonjunktur und Spekulationsblasen auf dem Häusermarkt haben Nippons Bürger schon hinreichend negative Erfahrung gesammelt.

Parallelen zu den 90ern

In gewisser Weise könnten Hypothekennehmer und Investmentbanker in den USA in die eigene Zukunft schauen, wenn sie den spektakulären Zusammenbruch des japanischen Immobilienmarktes Anfang der 90er Jahre studieren würden. Der ging seinerzeit mit dramatischen Kursstürzen an der Tokioter Börse und etlichen Bankenpleiten einher. Die japanische Wirtschaft, in den 80ern dabei, den USA ernsthaft Paroli zu bieten, erholte sich nie wieder richtig von dieser Krise. Die zog sich vermittels zahlreicher Rezessionen über die gesamte folgende Dekade hin und führte zu weitgehender sozialer Zerrüttung in dem vorher auf Dauerboom programmierten Land. Erst der Aufschwung der asiatischen Schwellenländer nach der Jahrtausendwende zog Japan aus dieser Misere.

Doch inzwischen scheint das Wirtschaftsschlachtschiff Japan erneut leckgeschlagen, und viele Ökonomen befürchten einen möglichen Dominoeffekt, der ausgehend von den USA die Insel treffen könnte. Neben Japan gelten Großbritannien, Spanien und Singapur als besonders gefährdet. Irgendeine Form globaler Rezession sei unvermeidlich, verkündete vergangener Woche der ehemalige Chef der US-Notenbank, Alan Greenspan, in Vancouver. Auch auf das boomende China wird wohl eine konjunkturelle Abkühlung wegen nachlassender US-Nachfrage zukommen. Und während noch zum Jahreswechsel die bürgerlichen Medien 2008 als das Jahr Chinas bezeichneten, sah dessen Premier, Wen Jiabao, die Sache ein wenig anders: Es werde das »schwierigste Jahr« für die chinesische Volkswirtschaft, so der Politiker.

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