Mieses Wetter, hohe Preise

„Junge Welt“, 20.07.2012
Hitzewelle in den USA verschlechtert globale Ernteaussichten. Nahrungsmittel verteuern sich. Spekulanten gut im Geschäft mit dem Hunger anderer

Weite Teile der USA werden derzeit völlig ausgedörrt. Mitte der Woche mußten 17 Bundesstaaten behördliche Hitzewarnungen erlassen. Im Osten und dem Mittleren Westen der Vereinigten Staaten kletterten die Temperaturen tagsüber vielerorts auf mehr als 40 Grad Celsius. Rund zwei Drittel der gut 300 Millionen US-Bürger sind von den Folgen dieser extremen Wettersitua­tion betroffen. Bereits im vergangenen Juli hatte ein ungewöhnlich heißes Sommerwetter dafür gesorgt, daß rund 170 lokale historische Hitzerekorde gebrochen wurden. Die ersten sechs Monate des Jahres 2012 wurden inzwischen von der US-Wetter- und Ozeanographiebehörde (National Oceanic and Atmospheric Administration, NOAA) zum wärmsten Halbjahr innerhalb der historischen Wetteraufzeichnungen erklärt.

Die Häufung von Wetterextremen hat inzwischen sogar die regierungsnahen Experten dazu bewogen, einen Zusammenhang mit dem Klimawandel herzustellen. Tom Karl, Koordinator des Klimabüros des NOAA, sagte unumwunden, daß die extremen Wetterphänomene »zu ungewöhnlich« seien, um sie nur durch »die natürliche Variabilität« erklären zu können.

Die mit den anhaltend hohen Temperaturen einhergehende Trockenheit erreicht ebenfalls historische Ausmaße. Mitte Juli erklärte die NOAA, daß rund 55 Prozent des Territoriums der USA von »moderater bis extremer« Dürre betroffen seien – zuletzt war dies 1956 der Fall. Das US-Landwirtschaftsministerium hat mehr als 1000 Landkreise in 26 Bundesstaaten aufgrund ausbleibender Niederschläge zu Katastrophengebieten erklärt. Dies ist einmalig in der Geschichte der USA. »Noch nie« habe er »eine solche Dürre erlebt«, sagte Pat Quinn, Gouverneur des besonders stark betroffenen Bundesstaates Illinois, nach einer Rundreise.

Je länger immer neue Hitzewellen die Kornkammer der Vereinigten Staaten in den »Great Plains« in einen Glutofen verwandeln, desto miserabler fallen die Ernteprognosen aus. In der mit Abstand wichtigsten agrarischen Zone der Welt, die sich über eine Reihe von Bundesstaaten im Mittleren Westen erstreckt, seien derzeit nur noch 31 Prozent der Flächen auf denen Mais und 34 Prozent auf denen Sojabohnen angebaut werden in einem »guten« oder »sehr guten« Zustand, so das Landwirtschaftsministerium. Die Verluste für den US-Agrarsektor werden inzwischen auf 50 Milliarden US-Dollar geschätzt. In vielen betroffenen Gebieten wurde wegen der rasch fallenden Fluß- und Grundwasserpegel jegliche Feldbewässerungen untersagt. Viele Viehzüchter mußten bereits Notverkäufe tätigen.
Versorgungslücke
Doch nicht nur die großen Ebenen der USA leiden unter Wetterextremen. Auch in einigen postsowjetischen Ländern sind die Ernteprognosen deswegen wenig erfreulich. Im Süden Rußlands haben schwere Überflutungen Schäden angerichtet. Die Ukraine und Kasachstan leiden unter Trockenheit wie die betroffenen US-Regionen. In Mittel- und Westeuropa drohen anhaltende Regenfälle, die Ernteaussichten einzutrüben. Unter den großen globalen Agrarproduzenten kann einzig Brasilien auf eine sehr gute und sogar rekordverdächtige Weizen­ernte hoffen. Allerdings ist das zu wenig, um die Versorgungslücken bei vielen Agrarprodukten zu schließen. Einer geschätzten weltweiten Weizenernte von 665 Millionen Tonnen in diesem Jahr steht ein Bedarf von 680 Millionen Tonnen gegenüber.

Das treibt die Preise. Grundnahrungsmittel verteuern sich weltweit wegen der beschriebenen Situation. Seit Dezember legte Mais um 44 Prozent zu, Weizen verteuerte sich um 45-, Soja um 17 Prozent. Inzwischen wurden die bislang registrierten Höchstpreise aus dem Jahr 2008 bei Mais und Sojabohnen überschritten. Andere Lebensmittel notieren noch unter den Höchstständen aus der Periode der globalen Lebensmittelkrise von 2007 und 2008. Reis und Weizen kosten noch gut 40 Prozent weniger als damals – doch der Trend nach oben ist ungebrochen.

Die Situation birgt erheblichen sozialen Sprengstoff. Kurz vor Ausbruch der aktuellen Weltwirtschaftskrise haben rasant kletternde Lebensmittelpreise zu Unruhen und Aufständen in mehr als 30 Ländern geführt. Regierungen stürzten, bis dahin ruhigere Regionen wurden sozial destabilisiert. Beispielsweise war es der Unmut über rasant steigende Grundnahrungsmittelpreise, der zu dem Aufstand in Ägypten beigetragen hat.

Gegenüber der Londoner Financial Times bestätigte der auf Agrarmärkte spezialisierte Rabobank-Analyst Luke Chandler, daß die gegenwärtige Agrarkrise durchaus das Potential habe, »das Szenario von 2008« zu wiederholen. Ein wichtiger Unterschied zu 2008 bestehe aber darin, daß sich die Weltwirtschaft 2008 auf dem Höhepunkt eines (finanzblasengetriebenen) Aufschwungs befand, während nun ein weltweiter Wirtschaftsabschwung einsetzt. Die Wetterextreme der vergangenen Monate haben dazu geführt, daß der Abschwung nicht – wie bei Rezessionen üblich – mit dem Fallen der Lebensmittelpreise einhergehen wird. Dies wird die soziale Lage der betroffenen Menschen – insbesondere im globalen Süden – zusätzlich verschlechtern.
Knapp heißt teuer
Auch die erneut zunehmende Spekulation mit Nahrungsmitteln und die Verschwendung von Lebensmitteln für die Produktion von sogenanntem Biotreibstoffen tragen zur Verschärfung der Situation bei. In Deutschland hat sich beispielsweise seit 2004 die Anzahl von »Biogasanlagen« auf 2700 verzehnfacht, während die Anbaufläche von Gerste und Weizen um eine halbe Million auf 6,5 Millionen Hektar schrumpfte. Die steigende Äthanolproduktion in den USA hat nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Actionaid die Kosten für maishaltige Lebensmittel in Mexiko umgerechnet um bis zu 3,2 Milliarden US-Dollar jährlich ansteigen lassen.

Banken und spekulative Fonds dürfte das freuen. Anfang Juli erhob der UNO-Sonderbeauftragte für das Recht auf Ernährung, Olivier de Schutter, schwere Vorwürfe gegen die Spekulanten. »Die Rolle von Investmentbanken wie der Deutschen Bank hat stark zugenommen. Der Preis von Lebensmitteln wird immer stärker von Finanzakteuren bestimmt.«

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