Ein unmoralisches Angebot

german-foreign-policy.com, 19.01.2011

BERLIN/PRAG/WARSCHAU (Eigener Bericht) – Das deutsche Drängen zur Übernahme des Euro durch die östlichen EU-Staaten stößt auf Widerstand. Berlin hat in den vergangenen Monaten seinen Druck auf mehrere mittelosteuropäische Regierungen verstärkt, um diese zu einem baldigen Beitritt zur Eurozone zu bewegen – ohne Erfolg. Man werde selbst entscheiden, „ob und wann wir den Schritt gehen wollen“, erklärt der tschechische Ministerpräsident Petr Nečas. Die europäische Gemeinschaftswährung sei ohnehin ein „ambitioniertes, aber unfertiges Projekt“, urteilt der Gouverneur der polnischen Zentralbank. In politischen Führungskreisen in der Slowakei werden inzwischen sogar Forderungen laut, aus der Eurozone auszutreten. Hintergrund ist, dass etwa Polen per Währungsabwertung seine Wirtschaft über die Krise retten konnte, während die südlichen Euroländer deutschen Exportoffensiven hilflos ausgeliefert waren und in den Ruin getrieben wurden. Nach dem Beitritt Estlands zur Eurozone Anfang des Jahres ist die Ausdehnung der Gemeinschaftswährung damit praktisch zum Stillstand gekommen.

Im Club

Wie die tschechische Tageszeitung Lidové noviny am 11. Dezember 2010 berichtete [1], habe Bundeskanzlerin Angela Merkel den tschechischen Ministerpräsidenten Petr Nečas während seiner Berlin-Visite im September 2010 aufgefordert, Tschechien möglichst bald in die Eurozone zu führen. „Wir möchten Euch im Club sehen“, habe Merkel gesagt, schrieb die Tageszeitung unter Berufung auf „Quellen aus dem Umkreis“ der Regierung in Prag. Nečas wollte gegenüber Lidové noviny diese Enthüllungen weder bestätigen noch dementieren. Die Protokolle der deutsch-tschechischen Regierungsgespräche seien vertraulich.

Suche nach Verbündeten

Bei dem Gespräch soll Merkel ihr Drängen auf eine baldige Euro-Einführung in Tschechien mit den Spannungen und Machtkämpfen innerhalb der EU begründet haben, schrieb Lidové Noviny weiter. So sei Berlin bei den Auseinandersetzungen um die Ausgestaltung der europäischen Krisenpolitik in eine Minderheitenposition geraten: Die Union werde von einer Staatenkoalition des „verschwenderischen“ und „agrarischen Südens“ dominiert, die von Frankreich angeführt werde.[2] Ihr seien Griechenland, Spanien, Italien, Belgien und Irland zuzurechnen. Die deutsche Position, die auf einen strikten Monetarismus abzielt, werde hingegen nur noch von Österreich, Finnland, den Niederlanden und der Slowakei geteilt. Laut Lidové Noviny sei Berlins Standpunkt bei Nečas‘ Berlin-Visite als Position eines „verantwortungsvoll wirtschaftenden Nordens“ umschrieben worden. Nur wenige Wochen zuvor habe Merkel mit „ähnlicher Wortwahl“ auch den polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk zu einem baldigen Eintritt in die Eurozone gedrängt. Der Beitritt weiterer mittelosteuropäischer Länder zur Eurozone solle demnach Berlins Position stärken und den deutschen Bestrebungen erneut Mehrheiten verschaffen.

Eine Dummheit

Mit seinem Drängen stieß Berlin sowohl in Warschau wie auch in Prag auf Desinteresse und mehr oder minder klar formulierte Ablehnung. Bereits Ende November stellte Nečas zu einer möglichen Übernahme des Euro klar, es werde „unsere Entscheidung sein, ob und wann wir den Schritt gehen wollen“.[3] Im Dezember bekräftigte der tschechische Regierungschef sogar, ein Beitritt des Landes zur Eurozone vor Ablauf seiner Regierungszeit sei ausgeschlossen: „Ich denke nicht, dass es dazu in absehbarer Zeit kommt. Bestimmt nicht unter meiner Regierung.“ Eine Übernahme des Euro zum jetztigen Zeitpunkt wäre eine „ökonomische und politische Dummheit“. Der tschechische Präsident Václav Klaus, ein bekennender Euroskeptiker, lieferte sich heftige Wortgefechte mit seinem deutschen Amtskollegen Christian Wulff und erklärte öffentlich, derzeit wolle „niemand in Tschechien den Euro einführen“. Polens Regierung formuliert ihre Ablehnung zurückhaltender, doch auch in Warschau wird inzwischen ein Beitritt zur Eurozone im Jahr 2015 – dies galt bislang als frühestmöglicher Zeitpunkt – ausgeschlossen. Deutlicher wurde kürzlich der Gouverneur der polnischen Zentralbank, Marek Belka, der Warschau vor einem übereilten Beitritt zur Eurozone warnte: Der Euro sei ein „ambitioniertes, aber unfertiges Projekt“.[4]

Rückkehr zur Krone

Auch die ungarische Regierung sucht den Beitritt zur Europäischen Währungsunion auf die lange Bank zu schieben. „Wir beeilen uns nicht“, versicherte der ungarische Wirtschaftsminister György Matolcsy am 6. Januar; man wolle zuerst die Wirtschaft ankurbeln und „eine Million Arbeitsplätze schaffen“, bevor man über einen Beitritt zur Eurozone nachdenke.[5] Rumänien und Bulgarien haben aufgrund ihrer schwierigen wirtschaftlichen Situation ihre Pläne für einen baldigen Beitritt zur Eurozone ebenfalls auf Eis gelegt. In der Slowakei, die erst 2009 den Euro einführte, werden inzwischen bereits Rufe nach dem Austritt aus der Eurozone laut. Am 13. Dezember 2010 forderte der slowakische Parlamentssprecher Richard Sulik, die Pläne für einen Austritt aus der Eurozone zu konkretisieren: „Es ist höchste Zeit, dass die Slowakei damit aufhört, blind den Anführern der Eurozone zu vertrauen, und einen Plan B vorbereitet, eine Rückkehr zur Slowakischen Krone.“[6] Der Unmut in Bratislava über die kostspielige neue Währung war vor allem während der Griechenland-Krise angestiegen, als sich das Parlament des verarmten Landes bei einer Abstimmung im August 2010 geweigert hatte, einen Beitrag in Höhe von 800 Millionen Euro für das „Euro-Rettungspaket“ bereitzustellen. Potenzielle Neumitglieder für Berlins Eurozone sind in Osteuropa kaum auszumachen: Im „Wechselkursmechanismus II“, der eine enge Währungsbindung an den Euro gewährleistet und gemeinhin als „Wartezimmer“ zum Euro-Beitritt bezeichnet wird, befinden sich gegenwärtig nur die beiden baltischen Staaten Lettland und Litauen.

Abwehr deutscher Exportoffensiven

Es sind nicht nur die Kosten der Eurorettung, die in Osteuropa zur wachsenden Skepsis gegenüber der europäischen Gemeinschaftswährung beitragen. In erster Linie haben viele mittelosteuropäische Staaten während der Krise ihre geldpolitischen Handlungsspielräume schätzen gelernt, die sie mit dem Beitritt zur Eurozone verlören. Die Währungen Polens und Tschechiens büßten im Verlauf der Krise gegenüber dem Euro um bis zu 30 Prozent an Wert ein, sodass die Einfuhren aus Deutschland – der europäischen Exportmacht – sich verteuerten und die Industrien etwa Polens und Tschechiens gestärkt wurden. Gerade die Unfähigkeit der südlichen Euroländer, auf die deutschen Exportoffensiven mit Währungsabwertungen zu reagieren, hatte enorme Leistungsbilanzdefizite und Schuldenberge hervorgebracht, die letztendlich zur Krise der Eurozone führten (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Die Schuldenkrise in Südeuropa führt den Regierungen in Warschau, Prag oder Budapest vor Augen, wie schnell ganze Volkswirtschaften nach der Preisgabe ihrer geldpolitischen Souveränität von der deutschen Exportmaschinerie an die Wand gedrückt und in die Depression getrieben werden können.

Schuldenlast

Interesse an einem schnellen Beitritt zur Eurozone haben nur noch diejenigen Länder, die eine hohe Auslandsverschuldung in Euro aufweisen. Während des schuldenfinanzierten Booms in Osteuropa wurden zwischen Baltikum und Schwarzem Meer von westlichen Banken Kredite und Hypothekten in Höhe von rund 1.150 Milliarden Euro großzügig vergeben. Oftmals nahmen die osteuropäischen Kreditnehmer diese Darlehen in Euro auf, um sich Zinsvorteile zu verschaffen. Bei fallenden einheimischen Währungen steigt aber die Zinslast dieser Kredite sehr schnell ins Unerträgliche. Deswegen trat beispielsweise Estland zu Jahresbeginn der Eurozone bei – dort trieben die hauptsächlich von skandinavischen Banken vergebenen Euro-Kredite die private Auslandsverschuldung auf inzwischen 116 Prozent des BIP. Der haushaltspolitische Musterknabe Estland, der mit einer Staatsverschuldung von weniger als zehn Prozent des BIP ganz deutschen Idealen entspricht, kann sich also bei einem weiteren Krisenschub – ähnlich wie etwa Irland – durch eine Sozialisierung dieser Schuldenlast sehr schnell in einen weiteren Pleitestaat verwandeln.

[1], [2] Němci tlačí na Čechy: Přijměte euro a plaťte; Lidové noviny 11.12.2010

[3] Osteuropa zögert plötzlich bei der Euro-Einführung; www.welt.de 12.12.2010

[4] Belka Says Poland Shouldn’t Rush to Euro With Currency’s Future ‚In Doubt‘; www.bloomberg.com 03.12.2010

[5] Hungary econ minister: no hurry to join euro zone; www.finanznachrichten.de 06.01.2011

[6] Plan B; Hospodárske noviny 13.12.2010

[7] s. dazu Die deutsche Transferunion

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