Ungeliebte Gastarbeiter

„Neues Deutschland“, 17.04.2010

Arbeitsmigranten stützen für wenig Geld den russischen Aufschwung
Russlands Wirtschaft basiert auch auf billigen Immigranten, die zu Tausenden aus den ehemaligen Sowjetrepubliken einwandern. Doch in der Krise sank der Bedarf – nun soll der Zuzug beschränkt werden.

Die Weltbank stellte Ende März der Russischen Föderation eine durchwachsene Prognose für 2010 aus. Demnach werde – nach einem Einbruch von 7,9 Prozent 2009 – das russische Bruttoinlandsprodukt (BIP) um fünf bis 5,5 Prozent steigen. Dieser Aufschwung solle auch mit steigendem Lohnniveau und einer für russische Verhältnisse moderaten Inflation von sieben bis acht Prozent einhergehen, hieß es im Bericht. Dennoch werde der Aufschwung den Arbeitsmarkt kaum entlasten und nur eine »marginale« Senkung der bei rund zehn Prozent verharrenden russischen Arbeitslosenquote mit sich bringen. Es gebe zwar fast eine Million freie Stellen zwischen St. Petersburg und Wladiwostok, der »Arbeitsmarkt verlangt aber bestimmte Arten von Arbeit und zu einem Preis, der nicht einfach in Russland lieferbar ist«, konstatierte die Weltbank. Diese schlecht entlohnten Jobs würden wohl auch künftig »am wahrscheinlichsten von Immigranten« übernommen.

Es waren Einwanderer aus den verarmten zentralasiatischen Republiken und dem Kaukasus, die vor der Krise – trotz zunehmender Fremdenfeindlichkeit – millionenfach ihr Auskommen in Russland suchten. Zumeist arbeiteten die Tagelöhner aus Tadschikistan, Kirgistan, Armenien oder Usbekistan im boomenden russischen Bausektor, bis die Krise den Immobilienmarkt zusammenbrechen ließ. Seitdem ist der Kreml bemüht, den Zufluss von Arbeitern zu begrenzen. Die russische föderale Migrationsbehörde kündigte im November 2009 an, die offizielle Quote für Gastarbeiter aus den ehemaligen Sowjetrepubliken von 3,97 Millionen 2009 auf 1,94 Millionen in diesem Jahr zu senken.

Die Vorgaben haben laut einem UNO-Bericht aber kaum Auswirkungen auf die Migrationsströme im postsowjetischen Raum: »Unter Berücksichtigung der Schattenkomponente der Arbeitssituation könnte die durchschnittliche Proportion von in Russland arbeitenden Ausländern zehn Prozent« der arbeitsfähigen Bevölkerung betragen, die 74,5 Millionen Menschen umfasse, hieß es. Dabei würden Immigranten »in den Jobs eingestellt, die die lokale Bevölkerung nicht will«. Die UNO schätzt, dass die Zahl der Arbeitsmigranten in Russland »drei bis vier Mal« höher sei als offiziell angegeben.

In vielen zentralasiatischen Volkswirtschaften, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion einem desaströsen Deindustrialisierungsprozess ausgesetzt waren, bildeten die Geldüberweisungen des Millionenheeres von Arbeitsmigranten einen zentralen ökonomischen Faktor. In Kirgistan trug vor der Krise der Geldzufluss aus Russland 15 Prozent zum BIP bei, in Usbekistan waren es sogar fast 20 Prozent. Die größten Ausmaße nahm diese »Migrationsökonomie« in Tadschikistan an, wo laut Schätzungen des Internationalen Währungsfonds die Überweisungen 46 Prozent des BIP im Jahr 2008 erreicht haben sollen. Neben Russland galt auch das rohstoffreiche Kasachstan als ein Zielland für Arbeitsmigranten, doch erließ die Führung in Astana strenge Restriktionen für Wanderarbeiter. Der Protektionismus soll bereits zu einem beträchtlichen Rückgang der Mittelzuflüsse in die Herkunftsländer beigetragen haben. Im Fall Tadschikistans sollen die Rücküberweisungen um bis zu 25 Prozent eingebrochen sein.

Derweil setzt Moskau auf eine Reform der Einwanderungsgesetze, mittels derer der Zuzug hoch qualifizierter Arbeitskräfte erleichtert werden soll, die zur Modernisierung der russischen Wirtschaft beitragen sollen. Es gehe darum, »die besten Denker für das Land anzuwerben«, so Regierungsvertreter. Durch vereinfachte Einwanderungsbestimmungen für gut ausgebildete Arbeitskräfte sollen Investitionen angelockt werden. »Modernisierung ohne geeignetes Personal ist unmöglich«, sagte Oleg Artamonow vom russischen föderalen Migrationsservice.

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