Härtere Gangart

„Junge Welt“, 17.03.2009
Russische Behörden reagieren auf Neonazigewalt. Mehr Verurteilungen und hohe Strafen gegen Täter. Rechte setzen verstärkt auf soziale Demagogie

Sie nannten sich die »Weißen Wölfe« und gingen in den Hinterhöfen und Seitenstraßen Moskaus auf Ausländerjagd. Neun jugendliche Neonazis wurden Ende Februar von einem Moskauer Gericht schuldig gesprochen, mindestens elf aus Zentral­asien und dem Kaukasus stammende Menschen getötet zu haben. Die rechten Skinheads schlugen ihre Opfer zumeist mit Holzlatten tot, oder sie stachen auf diese immer wieder mit Messern ein. 73 Stiche verpaßten sie einem Glaser aus Kirgistan, während sie dabei »Rußland den Russen« brüllten und diesen bestialischen Mord mit den Kameras ihrer Mobiltelefone aufnahmen.

Solche Berichte zeugen seit Jahren vom Aufstieg des russischen Rechtsextremismus. Etwas hat sich geändert. Die Strafverfolgungsbehörden gehen inzwischen entschiedener gegen faschistische Gruppierungen vor. So wurde der Anführer der Moskauer Nazibande zu einer Freiheitsstrafe von 23 Jahren verurteilt, während gegen die weiteren Bandenmitglieder das maximale Jugendstrafmaß von neun Jahren verhängt wurde. Ähnlich erging es Anfang März den Mitgliedern einer Naziorganisation aus dem zentralrussischen Uljanowsk, die wegen des Mordes an einem Afrikaner bis zu 22 Jahre hinter Gittern verbringen werden.

Die härtere Gangart des russischen Staates bestätigte auch der jüngste Rechtsextremismus-Jahresbericht der Moskauer Nichtregierungsorganisationen SOVA, die faschistische Gewalttaten dokumentiert. Demnach hätten die Behörden 2009 die »Strafverfolgung rassistischer Gewalt enorm aktiviert«. Im vergangenen Jahr seien 135 Personen bei 45 Strafverfahren aufgrund von Gewaltdelikten mit rassistischem Hintergrund verurteilt worden. 2008 waren es 118 Täter, die wegen 35 Delikten überführt wurden.

Dieser Anstieg ist um so bedeutender, da im vergangenen Jahr die faschistische Gewalt in Rußland erstmals »signifikant zurückging«, wie es im SOVA-Bericht heißt. 2009 kamen bei Übergriffen durch Neonazis 71 Menschen ums Leben, 333 wurden verletzt. 2008 gab es 109 Tote und 486 Verletzte. Bis zu einem gewissen Grad könne dieser Rückgang der Gewalt auf die Aktionen der Strafverfolgungsbehörden zurückgeführt werden, die einige der »größten und aggressivsten ultrarechten Gruppen in der Moskauer Region« 2008 und 2009 zerschlugen«, so SOVA. Größtenteils untätig bleibe der Staat aber bei der Verfolgung faschistischer Propagandadelikte.

Für den Rückgang der rassistischen Gewalt kann auch ein Strategiewechsel bei rechtsextremen Gruppen verantwortlich sein. Laut SOVA gingen einige der Organisationen »bewußt zum antistaatlichen Terrorismus« über. Um den Ausbruch einer »Nationalen Revolution« zu provozieren, bemühten sich diese Gruppierungen, die »Regierung zu destabilisieren« und »Mißtrauen gegenüber dem Staat« zu schüren. Derzeit werde von vielen rechten Gruppen die rassistische Propaganda zugunsten sozialdemagogischer Parolen zurückgefahren. Es gebe das Bemühen, an staatlichen Kampagnen zur Sportförderung oder gegen Alkoholmißbrauch anzudocken. Gescheitert seien hingegen faschistische Bestrebungen, weitere Pogrome und Vertreibungen, wie im September 2006 in der nordrussischen Stadt Kondopoga, zu initiieren.

Als die »zwei prominentesten Mitbewerber unter den legal operierenden nationalen Organisationen Rußlands« benannte SOVA die Gruppierungen Russische Art (Russki Obraz – RO) und die Bewegung gegen Illegale Immigration (DPNI). Während die DPNI sich als eine oppositionelle Organisation präsentiert, erhebe RO den Anspruch, »ein Verbündeter der Regierung zu sein.«

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