Nach dem Boom kommt die Staatshilfe

Jungle World, 17.08.2023

Derzeit werden viel zu wenige Wohnungen gebaut, weil es der Bauwirtschaft nicht profitabel genug erscheint. Die Bundesregierung will nun mit Milliardensubventionen nachhelfen.

Wer glaubt, es sei Aufgabe der Bauwirtschaft, ausreichend bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, müsste derzeit ein kolossales Marktversagen konstatieren. Während die Wohnungsknappheit in Ballungsräumen sich stetig verschärft, werden immer weniger Wohnungen gebaut.

Es war ein zentrales Wahlkampfversprechen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gewesen: Um den horrenden Mietsteigerungen entgegenzuwirken, sollte der Wohnungsbau angekurbelt werden. Die Regierungsparteien einigten sich 2021 im Koalitionsvertrag auf das Ziel, dass jährlich 400 000 Wohnungen gebaut werden sollten, davon 100 000 öffentlich geförderte Sozialwohnungen.

Die tatsächlichen Ergebnisse sind niederschmetternd. Während 2020 bundesweit noch 306 400 Wohneinheiten fertiggestellt wurden, waren es 2022 nur noch 295 300. In diesem Jahr erfolgte ein noch größerer Einbruch: die Zahl der Baugenehmigungen lag in den vergangenen Monaten 25 bis 30 Prozent unter den Vorjahreszahlen.

Bei Sozialwohnungen, die mit staatlichen Zuschüssen errichtet werden, ist die Lage noch dramatischer: nur 22 545 Einheiten wurden voriges Jahr bewilligt; gleichzeitig fielen 36 500 alte Sozialwohnungen aus der zeitlich befristeten Preisbindung (je nach Subventionsvereinbarung läuft diese zwischen 15 und 40 Jahren). Folglich ist die Zahl der Sozialwohnungen in der Bundesrepublik weiter rückläufig. Von knapp vier Millionen in den achtziger Jahren sank deren Anzahl stetig auf 1,66 Millionen im Jahr 2010 und nur noch 1,1 Millionen im vergangenen Jahr.

Ein Grund für den Rückgang der Bautätigkeit ist, dass die Notenbanken zur Bekämpfung der Inflation die Leitzinsen erhöht haben. Das verteuert die Kreditaufnahme, weshalb immer mehr Bauvorhaben verschoben oder ganz abgesagt werden. Gleichzeitig ist das Bauen selber auch deutlich teurer geworden. Wegen der Lieferkettenschwierigkeiten im Zuge der Covid-19-Pandemie wurden Baustoffe knapper und damit teurer; hinzu kamen steigende Preise für Strom oder Dieselpreise.

Es lohnt sich deshalb einfach nicht, günstigen Wohnraum zu liefern. Laut dem Bundesverband der deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) müssen die Kaltmieten bei 15 bis 20 Euro netto pro Quadratmeter liegen, um das Geschäft mit dem Bau von Mietwohnungen lukrativ zu machen – und solche Mieten kann sich kaum jemand leisten. Bei Baustoffpreisen gebe es Steigerungen von bis zu 70 Prozent, jammerte GdW-Präsident Axel Gedaschko der „Tagesschau“ vor.

Die an Dauerboom gewohnte Baubranche befinde sich aufgrund der Zinswende der Notenbanken, der sinkenden Immobilienpreise und der steigenden Ressourcenkosten in einer „Schockstarre“, sekundierte die FAZ. Viele Bauprojekte ließen sich nicht mehr rentabel finanzieren. Der Lobbyverband Zentraler Immobilien Ausschuss (ZIA) gab an, dass die Zahl der Insolvenzen in der Bau- und Immobilienwirtschaft, die schon im vergangenen Jahr um acht Prozent auf 3 149 gestiegen ist, auch in diesem Jahr weiter wachsen werde. Viele Immobilienunternehmen haben sich in den zurückliegenden Boomzeiten hoch verschuldet, um mehr investieren zu können. Inzwischen fallen die Immobilienpreise in vielen Großstädten zum ersten Mal seit vielen Jahren. Zu niedrigeren Mieten führt das nicht, im Gegenteil. Manche Immobilienfirmen erhöhen eher die Mieten besonders stark, um ihre Spekulationsverluste auszugleichen. Angesichts der Konjunkturflaute in der Bauwirtschaft forderte ZIA-Sprecher Andreas Mattner gegenüber der FAZ schnelle und unbürokratische Staatshilfen.

Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hatte sich Anfang August für Subventionen in Milliardenhöhe für die Branche ausgesprochen. Bis 2030 solle die Bauwirtschaft umfassende steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten für Neubauten erhalten, um „neue Investitionsanreize“ zu schaffen. Die Abschreibungsmöglichkeit der Baukosten eines Neubaus soll binnen der ersten vier Jahre nach dessen Fertigstellung von drei Prozent auf sieben Prozent erhöht werden. In den folgenden vier Jahren wäre noch eine weitere Abschreibung von fünf Prozent per annum möglich. Die Einhaltung von Energiesparvorgaben, die in bisherigen Regelungen zu Sonderabschreibungen für Mietwohnungsbau verbindlich ist, soll dabei wegfallen. Geywitz will diese Subventionen an das von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) geplante „Wachstumschancengesetz“ andocken. In dessen Rahmen sollen Steuererleichterungen für Unternehmen im Umfang von 6,5 Milliarden Euro jährlich gewährt werden. Vertreter des ZIA begrüßten die Subventionsinitiative der SPD-Politikerin euphorisch. Sie könne „genau die Impulse bringen, die den darniederliegenden Wohnungsbau reanimieren“.

Lindners Finanzministerium reagierte dagegen eher verhalten. Im Juni hatte sich Linder gegen „immer neue Subventionen“ für die Bauwirtschaft ausgesprochen und stattdessen niedrigere Bauqualitätssstandards vorgeschlagen, um für mehr Neubau zu sorgen. Kritik kam auch von den Grünen und der Linkspartei, die das Fehlen von Klimaschutzvorgaben und jeglicher Sozialorientierung beklagten. Der SPD-Vorschlag würde den Bau von Luxuswohnungen begünstigen, während gerade ein Ausbau des sozialen und genossenschaftlichen Wohnungsbaus notwendig wäre, kritisierte die Bundestagsabgeordnete Caren Lay von der Linkspartei. Stattdessen bräuchte es ein öffentliches Wohnungsbauprogramm nach Wiener Vorbild.

Das würde bedeuten, dass der Staat mit Hilfe eines direkten staatlichen Wohnungsbauprogramms Wohnraum schaffen solle, der auch im öffentlichen Besitz bliebe. Ob Subventionen oder öffentliches Bauprogramm: den krisenbedingten Drang zum Staatskapitalismus teilen Wirtschaftslobbyisten und Linkspartei-Politikerinnen, wenn auch mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung. Der Staat soll als zentrale Instanz der Krisenverwaltung in die Bresche springen. Sogar Berlins Oberbürgermeister Kai Wegner (CDU) hat Anfang des Monats gefordert, die sogenannte Schuldenbremse vorübergehend auszusetzen.

Nach oben scrollen