Billigere Immobilien, teurere Mieten

Kontext, 02.08.2023

Bei Immobilien in Baden-Württemberg ist der stärkste Preisverfall seit Jahrzehnten zu beobachten. Wer zur Miete wohnt, profitiert davon nicht: Hier liegen die jährlichen Teuerungsraten teils im zweistelligen Bereich.

Dem Immobilienmarkt im Südwesten der Bundesrepublik scheint nach langjähriger Blasenbildung die heiße Luft auszugehen. Bei Bestandswohnungen in Baden-Württemberg sackten die Kaufpreise im zweiten Quartal 2023 um 7,5 Prozent ab, Häuser verbilligten sich um 4,9 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Der Abwärtstrend scheint sich sogar zu beschleunigen. Denn im ersten Quartal dieses Jahres meldete der Immobilienverband Deutschland Süd (IVD) einen Preisrückgang bei Einfamilienhäusern in Baden-Württemberg um drei Prozent, bei Reihenhäusern betrug er 2,8 und bei Eigentumswohnungen 2,4 Prozent.

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Bundesweit macht sich ein ähnlicher Trend bemerkbar. Im Jahresvergleich ist der durchschnittliche Kaufpreis für Wohnimmobilien im ersten Quartal 2023 in Deutschland um 6,8 Prozent eingebrochen, was den stärksten Preisverfall seit dem Beginn der Erhebung dieser Datenreihe im Jahr 2000 markiert. Inflationsbereinigt sollen die Preise deutschlandweit sogar um 20 Prozent binnen eines Jahres zurückgegangen sein. Es ließe sich sogar argumentieren, dass die Einbrüche auf dem Wohnungsmarkt in Baden-Württemberg besonders stark ausfallen, da deutschlandweit sich der Preisrückgang im zweiten Quartal verlangsamte: auf zwei Prozent bei Häusern und 1,6 Prozent bei Wohnungen.

In vielen östlichen Regionen Deutschlands, wie etwa dem unter Entvölkerung, Frauenmangel und Rechtsextremismus leidenden Sachsen, ist der Abwärtstrend bei Eigentumswohnungen schon länger – seit Mitte 2022 – wirksam. Doch selbst in den auf Dauerboom programmierten Metropolenregionen Deutschlands, wo sinkende Immobilienpreise ein Novum darstellen, ist der Wertverfall bemerkenswert: In Berlin liegt der Rückgang bei sechs, in Frankfurt bei neun und in Hamburg bei zwölf Prozent.

Das Eigenheim bleibt trotzdem unbezahlbar

Das „Betongold“ wird somit billiger. Was aber nicht heißt, dass des Bürgers größter Traum, das Eigenheim, nun für mehr Menschen in greifbare Nähe rücken würde. Denn die Zinssätze für Wohnungsbaukredite haben sich seit ihrem historischen Tief Ende 2021 mehr als verdreifacht. Immobilienkredite mit langjähriger Zinsbindung konnten 2021 mit Zinssätzen von einem Prozent abgeschlossen werden, während es im Februar 2023 schon 3,6 Prozent waren – Tendenz steigend. Somit entstehen für angehende Immobilienkäufer:innen oder Bauherren Zusatzkosten von mehreren hundert Euro pro Monat. Dieser Anstieg der Zinslast führte zu einem drastischen Einbruch der Nachfrage nach Immobilienkrediten, die sich nach Angaben der Bundesbank im vergangenen April um rund die Hälfte gegenüber dem Vorjahreszeitraum reduzierte.

Die rasch steigenden Kreditkosten sind Folge der Zinswende der europäischen Geldpolitik. So hofft die EZB, mit einer Anhebung der Leitzinsen die Inflation in der Eurozone bekämpfen zu können. Der Leitzins im Euroraum, wo noch 2021 faktisch Negativzinsen herrschten, befindet sich – nach zwei Prozent im November 2022 und 3,5 Prozent im Mai 2023 – schon bei vier Prozent. Angesichts der hartnäckigen Teuerungsdynamik, die im Euroraum im Juni noch immer bei 6,1 Prozent lag, ist mit einem baldigen Ende der Leitzinserhöhungen – und somit der korrespondierenden Misere im jahrelang boomenden deutschen Immobiliensektor – nicht zu rechnen.

Für Mieter:innen geht der Fall der Immobilienpreise hingegen nicht mit sinkenden Mietkosten einher. Im Gegenteil. Im zweiten Halbjahr 2022 sind die Angebotsmieten in den Großstädten Berlin, Düsseldorf, Hamburg, München, Leipzig, Köln, Frankfurt, und Stuttgart im Schnitt um 6,3 Prozent gestiegen. In Baden Württemberg, wo die Einbrüche bei den Immobilienpreisen besonders stark waren, zogen die Mietkosten besonders stark an: Im zweiten Quartal 2023 stiegen laut dem Mietspiegel die Mieten bei Wohnungen um 11,39 Prozent, bei Häusern um 8,15 Prozent. Diese gegenläufige Entwicklung bei Immobilienpreisen und Mieten scheint zumindest zu Beginn einer Immobilienkrise durchaus logisch zu sein. Denn viele Kreditnehmer:innen, die auch als Vermieter:innen agieren, versuchen, die steigenden Kreditkosten einfach auf die Mieter abzuwälzen. Zumindest, solange es das gesamtwirtschaftliche Umfeld zulässt und die Folgeeffekte der Immobilienmisere nicht auf die Konjunktur durchschlagen.

Dass Immobilienpreise und Mieten immer weiter in den Himmel steigen, ist nämlich kein Naturgesetz, sondern Folge einer langfristigen Blasenbildung in der BRD. Die Bundesbank warnte schon Anfang 2022, dass Immobilien in der Bundesrepublik im Schnitt um bis zu 40 Prozent überbewertet seien. Zwei Faktoren trugen hauptsächlich zum langen deutschen Immobilienboom bei: Das auf Exportüberschüsse abzielende deutsche Wirtschaftsmodell ließ die Konjunktur heißlaufen und hielt – auf Kosten der Defizitländer – die industrielle Basis intakt, während die Bundesrepublik in Folge der Eurokrise zunehmend als „sicherer Hafen“ Kapitalzuflüsse verzeichnen konnte. Die jahrelange expansive Geldpolitik der Notenbanken der USA und EU, mit der die Folgen der Krisenschübe von 2008 und 2020 bekämpft wurden, führte aufgrund der damit einhergehenden Geldflut zur Ausbildung einer Liquiditätsblase, die nicht nur die Immobilienmärkte, sondern auch die Aktien- und Wertpapiermärkte erfasste – bis hin zu der absurden Spekulation mit Meme-Aktien (Gamestop) und virtuellen Währungen wie Bitcoin.

Immobilien unter Wasser sind wenig attraktiv

Beide Faktoren sind nicht mehr gegeben. Die Ära der hohen deutschen Exportüberschüsse ist aufgrund von Pandemie, Krieg und zunehmendem Protektionismus schon 2020 zu Ende gegangen. Und die anhaltende Inflation nötigte die Notenbanken dazu, der großen Geldschwemme, die das Weltsystem in den vergangenen zwei Dekaden stabilisierte, ein Ende zu setzen. Nun droht eine Kettenreaktion: Immer mehr Kreditnehmer:innen können ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen, was zu zunehmenden Zahlungsausfällen, weiterem Preisverfall und einer Destabilisierung der unter „faulen Krediten“ leidenden Finanzsphäre führen kann.

In Ansätzen ist dies selbst in der BRD erkennbar, obwohl die konjunkturbedingten Kreditausfälle aufgrund der hierzulande üblichen langfristigen Zinsbindung bei Immobilienkrediten nicht so stark ansteigen wie in Ländern mit variablen Zinssätzen. Erstmals seit drei Jahren ist in der ersten Jahreshälfte 2023 eine deutliche Zunahme von Zwangsversteigerungen registriert worden. Zwischen Januar und Ende Juni kamen bundesweit Immobilien im Wert von 1,96 Milliarden Euro unter den Hammer, während im Vorjahresraum bei Zwangsversteigerungen nur 1,66 Milliarden Euro erzielt worden sind. In Großbritannien, wo die Kreditzinsen schneller an den Leitzins angepasst werden, braut sich bereits eine vom Immobiliensektor ausgehende Wirtschaftskrise zusammen: Bei einer Inflation von mehr als acht Prozent hob die britische Notenbank den Leitzins auf fünf Prozent an, während ein Drittel der 28 Millionen britischer Haushalte Immobilienkredite abstottern muss. Bis Jahresende sollen aufgrund der explodierenden Kreditkosten die finanziellen Reserven von 1,2 Millionen Haushalten erschöpft sein.

Eine ähnliche Korrelation zwischen steigenden Zinsen und fallenden Immobilienpreisen ist auch in den USA zu beobachten, obwohl der Rückgang dort mit 1,7 Prozent in den 20 wichtigsten Metropolenregionen bei Weiten nicht so stark ausfiel wie auf dem spekulativ aufgeheizten Immobilienmarkt Deutschlands. Dabei ist es nicht nur die permanente Finanzkrise des spätkapitalistischen Weltsystems, das sein Zombieleben nur mittels Schuldenbergen und Blasenbildung aufrecht erhält, die sich gegenwärtig in dieser transatlantischen Immobilienmisere manifestiert. Auch die ökologischen Grenzen des Kapitals spielen bereits eine handfeste Rolle – und zwar nicht nur in Gestalt der rapide steigenden Materialkosten, die viele potenzielle Bauherren abschrecken. In Miami sind die Immobilienpreise bereits wegen der Sorge vor den Folgen des Klimawandels um sieben Prozent binnen zweier Jahre eingebrochen. Ein Viertel aller zum Verkauf stehenden Objekte soll wegen der Klimakrise abgestoßen werden. 120.000 Grundstücke in der Großregion Miami sind vom Meeresspiegelanstieg in den kommenden Dekaden des 21. Jahrhunderts bedroht. Und irgendwann werden auch die dumpfsten Pfeffersäcke Hamburgs anfangen, das Wasser vor der luxuriösen Haustür nicht mehr als Bereicherung, sondern als Bedrohung zu begreifen.

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