Zinsen steigen, Mieten auch

Jungle World, 06.07.2023

Nach Jahren der steigenden Preise werden Wohnungen und Häuser in zahlreichen Großstädten wieder billiger. Der Grund dafür sind höhere Kreditkosten für Investoren und Wohnungseigentümer. Doch auch für Mieter sind das keine guten Nachrichten.

Lange schienen die Immobilienpreise in zahlreichen deutschen Großstädten nur eine Richtung zu kennen: nach oben. Doch der Boom der vergangenen Jahre ist vorerst vorbei. Im ersten Quartal dieses Jahres sanken die Preise für Wohnimmobilien dem statistischen Bundesamt zufolge um 6,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal, im letzten Quartal 2022 waren es 3,4 Prozent gewesen. Es ist der stärkste Preisverfall seit 23 Jahren. Inflationsbereinigt sollen die Preise bis Ende Juni der Datenbank German Real Estate Price Index (Greix) zufolge sogar um 20 Prozent im Vergleich zu Mitte 2022 niedriger liegen.

Dennoch wird des Bürgers Traum, das Eigenheim, für viele Lohnabhängige weiterhin nur ein Traum bleiben. Die Immobilienpreise fallen zwar, aber die Kreditkosten sind stark gestiegen. Kredite konnten 2021 noch mit einem Zinssatz von einem Prozent bei zehnjähriger Laufzeit abgeschlossen werden, im Februar 2023 waren es schon 3,6 Prozent. Damit können für Immobilienkäufer oder Bauherren Mehrkosten von mehreren Hundert Euro pro Monat entstehen. Der Bundesbank zufolge brach die Nachfrage nach Immobilienkrediten von Privatleuten im April um rund die Hälfte gegenüber dem Vorjahreszeitraum ein. Auch werden weniger Wohnungen gebaut, denn neben den Krediten sind auch Baumaterialien teurer geworden. Dem Ifo-Institut der Universität München zufolge soll es in diesem Jahr nur noch 275 000, im kommenden Jahr 234 000 und 2025 nur 200 000 neue Wohnungen geben.

Die gestiegenen Kreditkosten sind Folge der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Um die Inflation zu bekämpfen, hat sie den Leitzins im Euroraum, wo noch 2021 faktisch Negativzinsen herrschten, mittlerweile auf vier Prozent erhöht. Die Inflation im Euro-Raum ging im Juni zwar laut Eurostat, dem Statistikamt der EU, auf 5,5 Prozent zurück, aber die Kerninflation, bei der die stark schwankenden Energie- und Lebensmittelpreise nicht beachtet werden, stieg wieder leicht auf 5,4 Prozent. Angesichts dieser hartnäckigen Teuerung ist eine rasche Rückkehr zu niedrigeren Leitzinsen nicht zu erwarten.

Die Entwicklung der Immobilienpreise in Deutschland ist regional sehr unterschiedlich. In vielen wirtschaftlich eher schwachen Regionen, insbesondere in den Teilen Ostdeutschlands, wo die Bevölkerungszahl schrumpft, fallen Immobilienpreise schon länger. Neu ist derzeit, dass erstmals seit vielen Jahren auch die Preise in den boomenden Metropolregionen wieder fallen, wo Investoren und Wohnungseigentümer jahrelang von stark steigenden Preisen profitiert haben und auch die Mieten immer teurer wurden. In Berlin gab es den Ökonomen, die den sogenannten Greix-Index für Immobilien erstellen, zufolge seit dem Jahr 2000 mit kumulierten Zuwächsen in Höhe von inflationsbereinigt 160 Prozent die höchsten Wertsteigerungen für Wohnungseigentümer, gefolgt von München und Frankfurt. Konnte man Mitte der 2000er Jahre einen Quadratmeter im Berliner Bezirk Mitte für unter 1700 Euro erwerben, ist der Preis mittlerweile auf über 7600 Euro gestiegen. Generell seien auch die Preisunterschiede zwischen beliebten und weniger beliebten Stadtbezirken extrem gestiegen. Bestimmte Bezirke hätten besonders dramatische Wertsteigerungen erlebt, beispielsweise Hamburg-Eppendorf (240 Prozent seit 2000) und Berlin-Kreuzberg (mehr als 180 Prozent). Damit ist es vorerst vorbei: Selbst in Hamburg (minus 12 Prozent), Berlin (Rückgang um sechs Prozent) und Frankfurt (minus neun Prozent) fällt der Wert des sogenannten Betongoldes. Die Mietkosten sinken deshalb jedoch nicht. Im zweiten Halbjahr 2022 sind die Angebotsmieten in den Großstädten Berlin, Düsseldorf, Hamburg, München, Leipzig Köln, Frankfurt, und Stuttgart im Schnitt um 6,3 Prozent gestiegen.

Die Bundesbank warnte bereits Anfang 2022, dass Immobilien in deutschen Großstädten bis zu 40 Prozent überbewertet seien. Zwei Faktoren trugen dazu hauptsächlich bei: Das auf Exportüberschüsse abzielende deutsche Wirtschaftsmodell sorgte – auf Kosten der Defizitländer – für eine im internationalen Vergleich gute Konjunktur, während die Bundesrepublik in Folge der Schwäche des Euro als „sicherer Hafen“ Kapital aus dem Ausland anzog, das unter anderem in Immobilien in Großstädten investiert wurde. Und die jahrelange expansive Geldpolitik der Notenbanken der USA und der EU schuf eine Liquiditätsblase, die die Preise nicht nur von Immobilien, sondern auch von Aktien- und Wertpapieren weltweit in die Höhe trieb – bis hin zu der absurden Spekulation mit virtuellen Währungen wie Bitcoin.

Beide Faktoren sind nicht mehr gegeben. Die Zeit der sehr hohen deutschen Exportüberschüsse ist wegen der Covid-19-Pandemie und zunehmenden Protektionismus’ schon 2020 zu Ende gegangen. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine belasten auch die höheren Energiepreise die deutsche Handelsbilanz. Und die anhaltende, sich aus mehreren Quellen speisende Inflation nötigte die Notenbanken dazu, die Leitzinsen zu erhöhen, was insbesondere in den USA einige Banken in finanzielle Schwierigkeiten brachte, die Schuldenkrise armer Länder verschärfte (<I>Jungle World<I> 22/2023 <a>https://jungle.world/artikel/2023/22/die-schuldenkrise-wird-multipolar<a>) und derzeit die Immobilienmärkte unter Druck setzt.

Die höheren Zinsen belasten nicht nur das Geschäft von Investoren, die mit der Vermietung von Wohnungen Rendite erzielen wollen, sondern auch alle, die mit einem langjährigen Kredit ihre eigene Wohnung oder ihr Haus finanzieren. Wenn immer mehr Kreditnehmer ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen können, verfallen die Preise weiter und die kreditgebenden Banken machen Verluste – so kann aus dem Platzen einer Immobilienblase eine Wirtschaftskrise werden, zumal auch die abnehmende Bautätigkeit die Konjunktur abschwächt.

Zahlreiche Marktanalysten erwarten jedoch noch, dass der Preisrückgang ein vorübergehendes Phänomen sein und es zu keiner ausgewachsenen Krise und Rezession kommen werde – zumindest, wenn weitere starke Leitzinserhöhungen ausbleiben. In Deutschland ist üblich, Immobilienkredite mit langfristigen Zinsbindungen abzuschließen. Viele, die in den vergangenen Jahren ihre Kredite abgeschlossen haben, werden deshalb noch in den kommenden Jahren die günstigen Zinsen der Vergangenheit zahlen.

Doch erstmals seit drei Jahren wurde in der ersten Jahreshälfte 2023 eine deutliche Zunahme von Zwangsversteigerungen registriert. Zwischen Januar und Ende Juni kamen bundesweit Immobilien im Verkaufswert von 1,96 Milliarden Euro unter den Hammer, während im Vorjahreszeitraum bei Zwangsversteigerungen nur 1,66 Milliarden Euro erzielt worden waren.

In Großbritannien, wo die Kreditzinsen schneller an den Leitzins angepasst werden als in Deutschland üblich, braut sich hingegen bereits eine vom Immobiliensektor ausgehende Wirtschaftskrise zusammen: Bei einer jährlichen Inflationsrate von mehr als acht Prozent, die im mai festgestellt wurde, hob die britische Notenbank den Leitzins auf fünf Prozent an, während ein Drittel der 28 Millionen britischen Haushalte Immobilienkredite abstottern muss. Bis Jahresende sollen dem renommierten britischen Wirtschaftsforschungsinstitut NIESR zufolge aufgrund der explodierenden Kreditkosten die finanziellen Reserven von 1,2 Millionen Haushalten erschöpft sein. Doch auch in Großbritannien gehen sinkende Immobilienpreise mit weiterhin steigenden Mieten einher, da zahlreiche Vermieter ihre gestiegenen Kreditkosten an ihre Mieter weitergeben.

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