Jungle World, 22.06.2023
Die Gruppe der Brics-Länder will eine eigene Währung schaffen, um die Hegemonie des US-Dollar zu beenden. In dem Staatenbündnis nimmt China eine dominierende Position ein.
Von Tomasz Konicz
Im August soll es – nach etlichen mehr oder weniger konkreten Ankündigungen seit 2012 – endlich so weit sein: Die expandierende Gruppe der Brics-Länder will auf ihrem kommenden Gipfel in Südafrika die Pläne zum Aufbau einer eigenen Währung konkretisieren, um die globale Hegemonie des US-Dollar offen anzugehen.
Der 2009 gegründete Zusammenschluss der (damaligen) Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, der seinen Namen den jeweiligen Anfangsbuchstaben verdankt, will zudem über die Aufnahme weiterer Staaten in das lose Bündnis beraten. Inzwischen liegen 19 Mitgliedsanträge vor, auch von Regionalmächten wie Ägypten, Saudi-Arabien, Indonesien, Iran, Argentinien, Thailand und Venezuela.
Zum Greifen nah scheint, dass diese Allianz ihr strategische Ziel erreicht, die Hegemonie des Westens und der USA zu brechen und eine sogenannte multipolare Weltordnung zu etablieren. Einen ersten Schritt zur Entdollarisierung sollen die Abmachungen einzelner Brics-Staaten bilden, im Handel untereinander die heimischen Währungen zu verwenden.
Auf den ersten Blick scheint eine Ablösung des US-Dollar als Weltleitwährung durchaus realistisch zu sein, befinden sich doch die überschuldeten USA seit Jahren geopolitisch und wirtschaftlich auf dem absteigenden Ast, während die Brics-Allianz im Aufstieg begriffen ist. Die diesbezüglichen Zahlen sprechen vordergründig eine eindeutige Sprache: So ist der Anteil der G7-Länder (USA, Deutschland, Japan, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada) am globalen Bruttosozialprodukt von 50 Prozent zu Beginn der achtziger Jahre auf 30 Prozent gesunken, während die Brics-Staaten im selben Zeitraum ihre Wirtschaftsleistung von rund zehn Prozent auf 31,5 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung steigern konnten. Das ambitionierte Bündnis weist somit selbst vor der anstehenden Erweiterung schon eine größere Produktionsbasis auf als die westlichen Staaten.
Dieser Aufstieg ist aber zum größten Teil auf China zurückzuführen, die Disparitäten und Ungleichgewichte in dem potentiellen Währungsblock besäßen eine ungeheure Dimension. Zwischen 2008 und 2021 ist das chinesische Bruttoinlandsprodukt pro Kopf um 138 Prozent gestiegen. In Indien waren es immerhin 85 Prozent, während Russland nur einen leichten Zuwachs von 14 Prozent verzeichnete. Brasilien stagnierte faktisch mit einem mageren Anstieg von vier Prozent und in Südafrika sank das Bruttoinlandsprodukt um fünf Prozent.
Inzwischen entfallen 70 Prozent des Bruttonationaleinkommens der Brics-Staaten auf China, während das Pro-Kopf-Einkommen in Russland fünfmal so hoch ist wie in Indien. Diese gigantischen Disparitäten lassen selbst die berüchtigten Ungleichgewichte in der Euro-Zone verblassen, wie sie während der Euro-Krise zum Vorschein kamen. Zudem weist die Brics-Gruppe bislang eine sehr lose Struktur auf, die kaum mit den Ergebnissen des langwährenden Prozess der Institutionsbildung und Standardisierung vergleichbar ist, der der Einführung des Euro in der EU voranging. Die Allianz verfügt über keine Exekutive und Legislative, sie hat nicht einmal ein zentrales Sekretariat aufgebaut.
Das Bündnis ist zudem durch eine starke Ambivalenz geprägt. Es ist mit der Intention gegründet worden, die Hegemonie des Westens und die imperialen Praktiken der Hegemonialmacht USA zu beenden. Der Angriff auf den US-Dollar als Weltleitwährung ist ein zentrales Vorhaben im Rahmen dieser Strategie. Doch zugleich bemühen sich die Brics-Länder nicht um eine grundlegende Veränderung des Welthandels, sie trachten letztlich nur danach, im Rahmen des kapitalistischen Weltsystems den Westen und die USA zu beerben – und in dieselben imperialistischen Praktiken zu verfallen, wie sie den USA angekreidet werden. Dies wird nicht nur am imperialistischen Krieg Russlands in der Ukraine evident, sondern auch an den Konflikten innerhalb der Allianz: China und Indien stehen beispielsweise immer wieder aufgrund von Grenzstreitigkeiten am Rande kriegerischer Auseinandersetzungen im Himalaya.
Die gemeinsamen ökonomischen Interessen wirken indes mindestens genauso stark wie die skizzierten Zentrifugalkräfte. Dabei geht es nicht nur um die Intensivierung von Handelsbeziehungen und geopolitischer Kooperation, die die Abhängigkeit von den westlichen Zentren verringern soll. Die Brics-Staaten streben nicht nur um den Aufbau einer eigenen Währung an, sondern auch einer eigenen, in China ansässigen Entwicklungsbank. Denn die Staaten der Semiperipherie müssen in einem spätkapitalistischen Weltsystem agieren, dessen Strukturen und Institutionen westlich dominiert sind, von der Leitfunktion des Dollar bis zur westlichen Vormacht bei Weltbank und Internationalem Währungsfonds.
Wozu dieses westliche Vormachtstellung führt, macht gerade die Inflationsbekämpfung durch die Notenbanken in den Zentren deutlich, die in vielen ärmeren Ländern zu regelrechten Wirtschaftszusammenbrüchen führt. Wegen der Zinsanhebung durch die US-Notenbank Federal Reserve hätten ein Viertel aller Schwellen- und Entwicklungsländer „im Effekt Zugang zu den internationalen Anleihemärkten verloren“, warnte die Financial Times Mitte Juni. Die Wachstumsprognose der Weltbank für diese Ländergruppe mit besonders schlechtem Kreditzugang sei von 3,2 auf 0,9 Prozent abgesenkt worden.
Diese durch die Inflationsbekämpfung in den westlichen Staaten ausgelöste Kreditklemme bildet einen wichtigen Faktor für den großen Andrang bei der Brics-Gruppe. Viele Krisenländer wie etwa Argentinien oder Venezuela, die sich derzeit um die Aufnahme bemühen, hoffen schlicht darauf, damit alternative Finanzierungsquellen zu erschließen – vor allem aus China. Perspektivisch soll somit nicht nur der Handel zwischen diesen Ländern in der künftigen Brics-Währung abgewickelt werden, sie soll auch Fundament eines neuen Finanzsystems werden, das sich an den Interessen der Semiperipherie orientiert.
So weit die schöne Theorie. In der Praxis läuft dies darauf hinaus, dass die Schwellenländer sich in einer ähnlichen finanziellen Abhängigkeit von China wiederfinden würden, das mit der Schaffung einer Brics-Währung und eines alternativen Finanzsystems auch alternative Investitionsmöglichkeiten aufbauen will, um die Anfälligkeit gegen US-Sanktionen abzumildern. Die potentielle Brics-Währung wäre somit nur als monetäres Vehikel einer hypothetischen nationalen Hegemonie denkbar, ähnlich dem US-Dollar.
Noch immer bestehen die globalen Währungsreserven zu 60 Prozent aus Dollarbeständen, was nur einen leichten Rückgang vom historischen Allzeithoch von 70 Prozent zu Beginn des 21. Jahrhunderts bedeutet. Rund 74 Prozent des internationalen Handels, 90 Prozent der Währungsgeschäfte und nahezu 100 Prozent des Ölhandels werden in US-Dollar abgewickelt. Um die Führung zu übernehmen, müsste China letztlich die Hegemoniekosten tragen, die im krisengeplagten, an seiner Produktivität erstickenden Spätkapitalismus zwangsläufig anfallen: Die chinesischen Handelsüberschüsse müssten abgebaut werden und sich in Defizite verwandeln, während der chinesische Finanzmarkt geöffnet werden müsste.
Die Hegemonie des Dollars beruht seit den achtziger Jahren in ökonomischer Hinsicht gerade auf den globalen Defizitkreisläufen, bei denen die enormen US-Handelsdefizite kreditfinanzierte Nachfrage generieren, während der US-Finanzmarkt die daraus resultierenden Gewinne in Form von Wertpapieren absorbiert. China hält immer noch Unmengen von US-Wertpapieren und war eine Zeit lang größter Gläubiger der USA.
China müsste gewissermaßen zu einem „Schwarzen Loch“ der Weltwirtschaft werden, wie es die USA sind, dessen Anziehungskraft mittels Handelsbilanz- und Hauhaltsdefiziten die Überschussproduktion einer an ihrer Hyperproduktivität erstickenden spätkapitalistischen Weltwirtschaft aufsaugt – um den Preis von Deindustrialisierung und destabilisierender Spekulationsblasenbildung. Und das ist kaum denkbar, da der chinesische Finanzsektor bereits von schweren Finanz- und Schuldenkrisen zerrüttet wurde und wird. Eine neue Weltleitwährung ändert nichts an den Ursachen des ökonomischen wie ökologischen Krisenprozesses, bei dem das Kapital an seine inneren und äußeren Schranken stößt.
Dies machen auch die derzeitigen Handelsbeziehungen zwischen Russland und Indien deutlich, wo der US-Dollar als Zahlungswährung ausgeschaltet wurde. Russland wurde nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs zum mit Abstand größten Öllieferanten Indiens, das ein hohes Handelsdefizit zu verzeichnen hat. In den ersten elf Monaten nach Kriegsausbruch beliefen sich die russischen Exporte nach Indien auf 41,5 Milliarden Dollar, die indischen Exporte nach Russland erreichten nur 2,8 Milliarden Dollar.
Faktisch handelt es sich hierbei um eine klassische beggar thy neighbour-Politik, wie sie auch der langjährige „Exportweltmeister“ Deutschland praktizierte: Mit Handelsüberschüssen werden auch Schulden, Deindustrialisierung und Arbeitslosigkeit exportiert. Der Unterschied: Derzeit müssen russische Banken und Ölkonzerne ihre sich auf Billionen Rupien summierenden Einnahmen auf indischen Bankkonten parken, da keine Möglichkeiten zum Währungstransfer oder zur Reinvestition offenstehen.